Berliner Morgenpost: Mehdorn: Manager und Marionette zugleich - Kommentar
Berlin (ots)
Der VfL Bochum verdankt seinen legendären Ruf weniger fußballerischer Klasse als vielmehr dem Mythos "unabsteigbar": Die Ruhr-Elf ist gefürchtet wegen unbeugsamem Selbstbewusstsein und der Kraft des nackten Willens. Hartmut Mehdorn ist der VfL Bochum der deutschen Wirtschaft. Regelmäßig wird sein Ende prophezeit, doch der Chef des größten deutschen Unternehmens hält sich trotzig im Amt. Ende vergangener Woche war der Mann mit dem seltsamen Vornamen "Bahn-Chef" dem Abstieg wieder bedrohlich nah. Zwei neue Gruppen waren verärgert, die bislang zwar nicht für, aber doch zumindest nicht geschlossen gegen ihn standen. Nahezu alle Bundestagsabgeordneten waren ungehalten, weil es hieß, auch ihre E-Mails könnten geprüft worden sein. Und die Gewerkschafter schäumten, da das Unternehmen eine Massenmail der Arbeitnehmervertreter vom Server genommen hatte. Kein schöner Zug der Bahn, aber: Was hätten die Lokführer wohl getan, wenn Mehdorn ein zehnseitiges Statement über den GdL-Server verbreitet hätte? Die Debatte um den Mann, der der Knautschfigur "Bernd, das Brot" täglich ähnlicher sieht, hat ihre hysterische Phase erreicht. Es geht kaum mehr darum, ob neue Erkenntnisse nun den Tropfen bilden, der Mehdorn endgültig ertränkt, oder nur kalter Kaffee sind, wie der Bahn-Chef sagt. Vielmehr geht es um Macht und Ehre. Mehdorn will sein Lebenswerk nicht zerstören lassen, seine fehlerreiche, gleichwohl unbestreitbare Leistung, den Staatskonzern profitabel gemacht zu haben. Wie ein Westernheld hat er sich in die Rolle des einsamen Gerechten vertieft. Zugleich ist er Marionette in einem größeren Spiel, das zwischen den zerrütteten Partnern der großen Koalition aufgeführt wird. Auf SPD-Seite steht Werner Müller, der Aufsichtsratschef der Bahn. Müller kennt alle Ränke aus Politik und NRW-Mafia und wird das Amt kaum der Kanzlerin schenken, schon gar nicht, da kein Ersatz in Sicht ist in einem Land, das derzeit nicht gerade birst vor krisenfesten Firmenlenkern. Auf der anderen Seite steht eine eingeschnürte Kanzlerin. Bis zur Wahl gibt es kaum mehr Spitzenposten zu besetzen, weshalb Mehdorns Job große Bedeutung hat im Macht-Mobile. Setzt die Kanzlerin jetzt einen Bahn-Boss ihrer Wahl ein, wird sie bei anderen großen Personalien Konzessionen machen müssen, beim nächsten EU-Kommissar zum Beispiel, der nach der Europawahl im Juni bestimmt werden muss. Bizarr, aber wahr: Solange Mehdorn im Amt bleibt, stehen die Brüsseler Chancen für Merkel-Vertraute wie Roland Koch oder Peter Hintze besser. Sicher ist derzeit nichts, nur die wogende Aufregung, zumal der "VfL Bahn-Chef" an diesem Montag eine positive Überraschung präsentieren könnte. Denn Mehdorn wird - heißt es jedenfalls aus dem Konzern - ziemlich ordentliche Unternehmenszahlen präsentieren. Womöglich bleibt der Mann unabsteigbar. Bis zur nächsten Rücktrittsforderung.
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