Berliner Morgenpost: Berliner Morgenpost über die Wechselgelüste von Berliner Parlamentariern
Berlin (ots)
Nun kann sich der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit wieder selbstzufrieden zurücklehnen. Vorbei - soweit man das angesichts der offenkundigen Wechselstimmung unter Berlins Parlamentariern prognostizieren kann - das Bangen um die parlamentarische Mehrheit für die Politik des rot-roten Senats. Was Wowereit und die Seinen erleichtert, lässt viele Berliner an Seriosität und Ernsthaftigkeit der von ihnen gewählten Parlamentarier zweifeln. Die Springprozession über Parteigräben hinweg schürt, was die Parteien eigentlich fürchten müssten: Parteien- und schlimmer noch Politikverdrossenheit. Nun ist ja nicht ausgeschlossen, dass eine Abgeordnete oder ein Abgeordneter mit seiner Partei während einer Legislaturperiode bricht, weil er eine zentrale Entscheidung aus Gewissengründen nicht mittragen kann. Auch nach der Berliner Landesverfassung sind Abgeordnete allein ihrem Gewissen verpflichtet. Nach allem, was bislang über die Motive der beiden wechselbereiten Damen bekannt geworden ist, hat allenfalls die grün gewordene ehemalige Sozialdemokratin Canan Bayram halbwegs nachvollziehbare Gründe verkündet. Mehr als eine Retourkutsche nach der Devise beleidigte Leberwurst erscheint dagegen der Übertritt von Bilkay Öney zur SPD. Und jetzt, da die rot-rote Mehrheit wieder sichere Größe erreicht hat, besinnt sich auch Carl Wechselberg definitiv seines Polit-Gewissens. Er verlässt die Linkspartei, bleibt als Parteiloser aber der Fraktion erhalten, weil er ja nur mit der Bundespartei und nicht mit der Landespartei, schon gar nicht mit Rot-Rot über Kreuz liegt. Verstehe das alles, wer wolle - rational nachvollziehbar, geschweige denn überzeugend ist das alles nicht. Hat gar das eine oder andere Versprechen für die persönliche Zukunft den letzten Anstoß zum Sprung gegeben? SPD und Grüne liegen auch in Berlin nicht so weit auseinander, dass der Wechsel von den einen zu den anderen einem revolutionär anmutenden Gesinnungswandel gleichkäme. Dennoch müssen sich Wähler darauf verlassen können, dass die Abgeordneten, für die sie oder für deren Partei sie gestimmt haben, zu dem stehen, was sie vor der Wahl erklärt haben. Parlamentsmandate sind keine beliebigen Tauschobjekte. Sie sind Verpflichtung. Von ihr wird ein Abgeordneter glaubwürdig allein in extremen Handlungslagen (die Koalitionsfrage in Hessen war eine) entbunden. Davon kann in Berlin keine Rede sein. Dass gleich auch noch die Glaubwürdigkeit des Berliner Parlaments insgesamt gelitten hat, steht außer Frage. Auch wenn ihre Mehrheit wieder eine gesicherte und die neue Spannung in der Berliner Politik schon wieder raus ist, sollte es sich die SPD-Führung beim Parteitag am Sonntag nicht gleich wieder zu bequem machen. Canan Bayram hat Gründe (Arroganz der Mächtigen, Benachteiligung von Frauen) für ihren Parteiwechsel benannt, die sie nicht allein geplagt haben. Es rumort in der Partei. Vor weiteren Überraschungen schützen sich Wowereit und Parteichef Michael Müller am besten dadurch, dass sie Kritik aus den mittleren und unteren Rängen nicht einfach länger abtropfen lassen.
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