Berliner Morgenpost: Berlin muss seine Potenziale heben - Kommentar
Berlin (ots)
Berlin braucht mehr wirtschaftliches Wachstum, um die Probleme der Stadt von den finsteren Finanzen bis zu den vermissten Arbeitsplätzen zumindest zu entschärfen. Auch dass sich Berlin Rettung nicht allein vom Dienstleistungssektor erhoffen darf, sondern flankierend auf Industrie angewiesen bleibt, ist keine bahnbrechende neue Einsicht. Schon vor gut zwei Jahren lud der Regierende Bürgermeister Klaus Wowereit Arbeitgeber und Gewerkschaftsvertreter auf deren langes Drängen ein, um gemeinsam über die Stärkung des Industriestandorts Berlin nachzudenken. Es blieb seitdem bei freundlichen Bekundungen. Jetzt versucht das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW) im Auftrag der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung, dem Senat noch einmal Beine zu machen. In der Studie wird der rot-roten Koalition vorgehalten, das durchaus vorhandene Entwicklungspotenzial in der Stadt nicht ausreichend auszuschöpfen. Die Kritik gipfelt in dem Befund, dass Berlin zwar als Forschungsstandort international bekannt und geschätzt werde, aber selbst Wirtschaftskreise davon ausgehen, dass Berlin gar keine Industrie mehr habe. Dieses Image ist nicht nur falsch (siehe Siemens oder das Solarunternehmen Solon mit mittlerweile gut 1000 Beschäftigten). Es muss auch dringend verändert werden, weil es investitionsfeindlich ist. Außerdem wird in der Studie die seit Jahren aus Berliner Unternehmerkreisen zu hörende Klage bestätigt, dass die Pflege ansässiger Unternehmen vor allem aus dem Bereich des industriellen Gewerbes und des Mittelstandes sträflich vernachlässigt werde. Es wird also höchste Zeit, dass in Berlin ein zweiter Mentalitätswandel stattfindet. Nachdem Wowereit bei Regierungsantritt einen solchen in Form des Abschieds vom Berliner Subventionsgebaren verkündet hatte, muss es endlich auch einen Wandel hin zu einer wirtschaftsfreundlichen Stadt geben. Der unternehmerische Geist in dieser Stadt und für sie muss wieder erweckt werden. Von Tourismus, Kultur, Medien und der Eventszene allein können die Berliner nicht leben. Und selbst die vielfältigste Dienstleistungsbranche kann ohne zukunftsträchtiges industrielles Umfeld nicht dauerhaft prosperieren, weil es ihr an Aufträgen mangeln wird. Die Wirtschaftsfeindlichkeit in Berlin zu überwinden wird allerdings schwer, solange der Regierende Bürgermeister Wirtschaftstermine - wenn überhaupt - eher als lästige Pflicht wahrnimmt, der Wirtschaftssenator wie sein Staatssekretär mit dem Marxismus-Leninismus groß geworden sind und eine zweistufige Verwaltung sich nach Berlin vorwagende Investoren mit Bürokratie und Desinteresse verschreckt. Handlungsanweisungen dafür, wie es endlich besser gemacht werden kann, liefert die DIW-Studie. Der Senat sollte sie aufgreifen. Mit dem Ziel, gemeinsam mit den sehr unterschiedlichen Akteuren aus Forschung, Wirtschaft, Politik und Verwaltung eine Strategie zur optimalen Nutzung der bislang unkoordinierten Potenziale der Stadt zu entwickeln.
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