Berliner Morgenpost: Ein Terrorakt von teuflischer Symbolik - Leitartikel
Berlin (ots)
In welcher Welt leben wir, möchte man wieder einmal wehklagen angesichts des gezielten Massenmordes in der Moskauer Untergrundbahn. Welche Skrupellosigkeit, welche Verachtung, die zu solchen Taten gegenüber unschuldigen Frauen, Männern und Kindern führen. Der Mensch, so lehren es die Kulturphilosophen, wurde erst durch die Zivilisation gebändigt und damit zum sozialen Wesen. Blutbäder wie das gestern in Moskau wecken Befürchtungen, dass in Teilen dieser Welt die Zivilisation nicht weiter auf dem Vormarsch, sondern im freien Fall Richtung Steinzeit ist. Teuflisch die Symbolik, die sich in dem Terrorakt ausdrückt. Beim ersten Anschlag sprengte eine Frau sich und ihren Bombengürtel unmittelbar unter der russischen Geheimdienstzentrale in die Luft, beim zweiten zündete eine weitere Attentäterin ihren Sprengstoff in einem Umsteigebahnhof, der von Angehörigen der benachbarten Akademie der russischen Streitkräfte stark frequentiert wird. Das mit so viel unschuldigem Blut getränkte Signal scheint eindeutig: Rache gegenüber dem russischen Polizei- und Armeeapparat, die zugleich die Machtlosigkeit der Sicherheits- und Unterdrückungsorgane dokumentieren soll - Moskau kann die eigenen Bürger nicht schützen. Denn vieles spricht dafür, dass die Terroristen islamistische Extremisten aus dem Nordkaukasus sind. Einige ihrer Anführer sind erst vor Kurzem von russischen Sondereinheiten getötet worden. Es scheint, als hätten die Terroristen nun auf besonders heimtückische Weise zurückgeschlagen. Ihre Opfer sind fast immer ganz gezielt unbeteiligte Menschen. Bei aller Missbilligung der russischen Unterdrückungspolitik - in der kaukasischen Unruheregion kämpfen die dortigen Extremisten keineswegs allein für ihre politische und religiöse Unabhängigkeit von Moskau. Bei ihnen handelt es sich vor allem um Banden, denen erst in zweiter Linie an einem eigenen islamistischen Staat gelegen ist. Sie kämpfen vor allem darum, illegale Geschäfte, insbesondere den Drogenhandel, ungestört und möglichst in noch größerem Stil als bislang fortzusetzen. Die sich so gern stark und mächtig gebenden Kreml-Herren, allen voran Wladimir Putin, können sich der Unterstützung der großen Mehrheit der Russen sicher sein, wenn sie jetzt mit allen legalen und auch nicht ganz legalen Mitteln versuchen, den Hintermännern des Moskauer Anschlags auf die Spur zu kommen. Dabei bleibt es allerdings höchst fraglich, ob mit der bisherigen Strategie eine Befriedung im Nordkaukasus überhaupt möglich ist. Die kaukasische Extremisten-Szene hat zum islamistischen Terrorismus, der die westliche Welt bedroht, bislang keine erkennbar engen Verbindungen. Insofern führt der Moskauer Anschlag in anderen Millionen-Metropolen wie London, Paris oder Berlin zu keiner verschärften Bedrohungslage. Latent sind aber U-Bahnen generell mögliche Ziele für Terroristen. Erst im Herbst vergangenen Jahres gab es Verdachtsmomente dafür, dass islamistische Terroristen die Berliner U-Bahn im Visier hatten.
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