BERLINER MORGENPOST: Das System Bahn ist zugrunde gerichtet Joachim Fahrun über die S-Bahn-Krise als Symptom für gescheiterte Verkehrspolitik
Berlin (ots)
Eine hilflose Verkehrssenatorin, die endlich konkrete Pläne der Bahn AG verlangt, um das S-Bahn-Chaos zu beheben. Eine Bahn-Führung, die Entschuldigungen stammelt und ansonsten die Fahrgäste im kalten Wind stehen lässt. Ein Bundesverkehrsminister auf Tauchstation. Ein Regierender Bürgermeister, der empört Entschädigungen für die gebeutelten Bürger verlangt: Was die Verantwortlichen in diesen Tagen zur S-Bahn absondern, haben sie im Herbst 2009, als die Krise erstmals eskaliert war, auch schon mal gesagt. Die Folgen waren gleich null. Die peinliche Misere geht weiter, Ende offen. Und gleichzeitig fallen auch noch bei der BVG viele Busse aus, weil auch dort aus Kostengründen auf Wartung und Reparaturen verzichtet wurde. Die Krise des Nahverkehrs in der Hauptstadt ist komplett - und dennoch ist sie nur ein Symptom für eine verfehlte Verkehrspolitik in Deutschland insgesamt. Wer kurz vor Weihnachten in einer keinesfalls extrem frostigen Nacht im Zug zwischen Hannover und Berlin festsaß oder stundenlang an Umsteigebahnhöfen im Matsch ausharrte, weiß aus eigener Erfahrung: Die Katastrophe ist flächendeckend. Das wichtigste bundeseigene Verkehrsunternehmen erfüllt seinen Auftrag nur ungenügend. Niemand kann sich aus früheren Jahren an eine dermaßen miese Performance der Bahn erinnern. Sicherlich ist die Technik komplizierter geworden. Aber auch dieses Problem ist hausgemacht. Sind es zehn oder 20 Minuten Zeitersparnis wirklich wert, derart anfällige Systeme zu konstruieren, die an Frosttagen zusammenbrechen? In den vollen Zügen herrschte rund um Weihnachten Konsens: Seit die Bahn privatisiert ist, sei alles schlimmer geworden, da waren sich die geplagten Fahrgäste einig. Zwar ist die Bahn noch gar nicht an Private verkauft. Aber der auf den Börsengang ausgerichtete Kurs der Bundesregierungen unter Gerhard Schröder (Rot-Grün) und Angela Merkel (Schwarz-Rot) hat bereits zu einer für die Kunden schädlichen Geschäftspolitik geführt und den Profit an die erste Stelle gesetzt. Nach den Erfahrungen mit der finanzmarkt-kompatiblen Bahn dürfte es schwierig werden, den Deutschen irgendwann einmal die Idee von Privatisierungen schmackhaft zu machen. Bahn und Bund haben ihr Geld in einigen mehr oder weniger sinnvollen Großprojekten vergraben, anstatt das System zu stabilisieren. Wenn jetzt die Koalition aus CDU und FDP wieder 500 Millionen Euro Dividende von einem Staatsunternehmen erwartet, zwingt sie die Manager, die stark am Gewinn orientierte Politik fortzusetzen. Dabei verkennen sie, dass die Bahn im Nah- und Fernverkehr eben kein Marktteilnehmer ist wie jeder andere. Wer kein Auto besitzt oder sich keines leisten kann, ist zwingend auf die Zugverbindungen angewiesen, solange das Bus-Reisen aus Rücksicht auf die Bahn eingeschränkt bleibt. Wegen der überragenden Bedeutung dieses Verkehrsmittels muss sich die Politik auf den eigentlichen Zweck der Bahn besinnen: zuverlässige Verbindungen bei jedem Wetter, bezahlbare Preise und ein Netz auch jenseits der Haupt-Rennstrecken. Schienen-Unternehmen, die mich nicht zuverlässig zu Weihnachten zur Oma oder jeden Morgen zur Arbeit bringen, braucht niemand.
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