BERLINER MORGENPOST: Kommentar zu "Taifun-Mentalität" der Japaner
Berlin (ots)
Sechsundsechzig Jahre liegt es zurück, dass Kaiser Hirohito seine Untertanen bat, "das Unerträgliche zu ertragen und zu erleiden, was unerleidbar ist". Hirohito (1901-1989) meinte den "Schmerz der Kapitulation", und er verteidigte seinen furchtbaren Angriffskrieg noch einmal mit dem Bemühen, "Japans Selbsterhaltung zu sichern". Wenn der japanische Premierminister Naoto Kan nun seine Landaleute auffordert, "die schwerste Krise der Nachkriegsgeschichte" besonnen und vereint durchzustehen, hallen die Worte Hirohitos nach. Japan wird abermals das Unerträgliche ertragen müssen. Und es wird es in einer Haltung tun, die Befremden und Bewunderung zugleich auf sich zieht. Viel wird in den nächsten Wochen gesagt und geschrieben werden zu dieser Haltung, die der frühere US-Botschafter Edwin Reischauer einst als "Taifun-Mentalität" rühmte. Der Begriff soll eine Metapher für ein schicksalergebenes, mindestens nach außen ruhiges Verhältnis zu den sein. Wahr ist daran, dass seit Menschengedenken das japanische Lebensgefühl von der Bedrohung durch Vulkane, Taifune, Erdstöße, Erdrutsche, Tsunami geprägt ist. Nichts ist ganz sicher, nichts für die Ewigkeit gebaut auf diesem Archipel. Das heiligste Gebäude des Schintoismus wird alle 20 Jahre abgerissen und neu aufgebaut, als Verneigung vor der Vergänglichkeit alles Irdischen. Doch hüte man sich, in einen positiven Rassismus zu verfallen, und den zur Schau getragenen Gleichmut als Gefühlsarmut misszuverstehen. Menschen, die in ihrem Leiden anders wirken als wir, unser Mitleid vorzuenthalten, wäre nicht nur Unsinn - es wäre Unrecht. Zugleich ist nicht zu bestreiten, dass in den ersten Stunden nach dem Beben - so weit wir es wissen können - keine Läden geplündert und keine Einbrüche beobachtet wurden. Die Menschen teilen Reis und Wasser, Nachbarn helfen einander, alte Menschen werden von jüngeren durch die Verheerung getragen. Es herrscht nicht, das verzweifelte Recht des Stärkeren, wie 1995 bei der Flutkatastrophe in New Orleans. Wer sich vor dem Erdstoß, den Feuern, dem Tsunami retten konnte, schloss sich einer Gruppe an und unterstellte sich deren Interesse. Es mag in Japan mitunter an politischer Führung fehlen, an Gemeinsinn und Opferbereitschaft mangelt es nie. Ohne diese früh ausgebildeten sozialen Reflexe wäre nicht nur eine Krise dieses kaum fassbaren Ausmaßes nicht zu überstehen - schon der Alltag in der Megametropole Tokio/Yokohama/Kawasaki, die 37 Millionen Menschen in einem 50-Kilometer-Radius zusammendrängt, wäre kaum erträglich. Fukushima wird der Angst vor der Atomkraft einen neuen Namen geben, nach Harrisburg und Tschernobyl. So wie einst Minamata der Ursünde der rücksichtslosen Industrialisierung und einer Quecksilber-Vergiftung den Namen gab. Noch gibt es Hoffnung, dass es nicht zum Super-GAU kommen muss. Noch stehen auch die auf den Pazifik wehenden Westwinde über dem Reaktor von Fukushima günstig. Noch müssen wir nicht das Allerschlimmste für die Menschen der Region befürchten. Auch wenn "Kamikaze" - was "göttliche Winde" bedeutet - den Japanern im 20. Jahrhundert nur Verheerung gebracht hat. Es heißt, in Tokio seien Fahrräder ausverkauft. Die Menschen rüsteten sich zur Flucht nach Süden. Für den Tag, wenn Züge, Flugzeuge, Autos versagen. Möge er nie kommen.
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