BERLINER MORGENPOST: Hunger ist eine Schande für uns alle - Leitartikel
Berlin (ots)
An Schuldzuweisungen für die verheerende Hungerkatastrophe in Somalia, Kenia und Äthiopien mangelt es nicht: der "Raubtierkapitalismus" und der "Terror der Profitmaximierung" im Allgemeinen, wie der Schweizer Soziologe Jean Ziegler erklärt, die Banken, die Investoren und die westlichen Regierungen im Besonderen, wie es allerorten heißt. Eine Autorin fragt rhetorisch, was denn wichtiger sei, die Rettung von Banken in der Eurokrise oder von Menschenleben in Afrika? Auf diesem polemischen Niveau sollte man sich nicht lange aufhalten. Worum geht es? Afrika erlebt eine extreme Dürre, die mindestens elf Millionen Menschen bedroht und bereits Tausende Menschenleben gefordert hat. Und man fragt sich im 21. Jahrhundert, warum es überhaupt noch diese Hungerkatastrophen gibt. Ist Afrika nicht zu retten? Die aktuelle Diskussion offenbart eine Ratlosigkeit, die nicht mehr in die Zeit passt. In den 80er- und 90er-Jahren dominierte in den Industrienationen das Bild eines verarmten, regungslosen, leidenden Kontinents, der von Dürrekatastrophen und Despoten heimgesucht war und auf großzügige Hilfe aus dem Norden wartete. In der Öffentlichkeit wurde Äthiopien sogleich mit Live-Aid assoziiert. Der medialen Aufmerksamkeit dank diverser Benefizkonzerte folgte zumeist Desinteresse. Seither ist nicht nur die Debatte über die Ursachen für Hunger und Armut in Afrika wesentlich differenzierter und kritischer geworden, auch die Instrumente zu deren Vermeidung wurden weiterentwickelt. So gibt es seit etwa 20 Jahren ein Frühwarnsystem für das Horn von Afrika, das bereits im Herbst vergangenen Jahres und erneut zu Anfang dieses Jahres Alarm schlug, weil Regen ausgeblieben war und eine tödliche Trockenheit wahrscheinlich wurde. Doch das Problem ist komplex. Die Lebensmittelpreise sind extrem gestiegen, Hilfsorganisationen fehlt das Geld und zu allem Unglück verweigert die radikalislamische Al-Schabab-Miliz, die große Teile Somalias kontrolliert, die Weiterleitung der Hilfe. All diese Aspekte sind nicht neu. Das große Sterben in Kenia und Somalia kam mit Ankündigung. Aber während Naturkatastrophe wie der Tsunami in Asien oder das Erdbeben in Haiti schnell eine hohe Aufmerksamkeit erzielen, tun sich Politik, Öffentlichkeit und auch die Medien mit schleichenden Tragödien wie jetzt in Afrika schwer. Alle müssen genauer, kontinuierlicher hinsehen und die Kurzatmigkeit in Bezug auf den Kontinent überwinden. Richtig ist: Afrika hat sich in den letzten Jahrzehnten gut entwickelt. Viele Länder boomen. Und trotzdem muss in dieser akuten Hungerregion jetzt schnell geholfen werden. Dazu gehört aber eben auch, durch politischen Druck die Regierungen davon zu überzeugen, dass nur eine robuste und nachhaltige Landwirtschaft ein Bollwerk gegen Hunger sein kann. Denn die Probleme sind nicht mehr nur den alten Kolonialmächten in die Schuhe zu schieben, sondern oft hausgemacht. Der eingangs erwähnte Ziegler hat in einem Recht: Jedes Kind, das im 21. Jahrhundert wegen Hungers stirbt, muss man als ermordet bezeichnen, seines Lebens und seiner Möglichkeiten beraubt.
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