BERLINER MORGENPOST: Tatort Stolperstein/ Ein Leitartikel von Hajo Schumacher
Berlin (ots)
Die Story wäre für einen Tatort wohl zu platt: Da tritt eine Schauspielerin auf die Güntzelstraße und sieht einen der über 5000 in Berlin verlegten Stolpersteine, Hinweis darauf, dass vor etwa 70 Jahren ein Mensch von den Nazis aus eben diesem Haus gezerrt wurde. Die Schauspielerin liest den Namen und denkt: Selma Jacobi, klingt ja nett, so möchte ich als Kommissarin heißen. Das ist ja Gedenken, irgendwie. Darf man das?
Die Berliner Schauspielerin Margarita Broich fand die Idee prima, sich den Namen eines Holocaust-Opfers für ihre Rolle als Frankfurter Tatort-Ermittlerin zu leihen. Die zuständige Leiterin Fernsehspiel des Hessischen Rundfunks Liane Jessen assistierte emotional. Dem Tagesspiegel sagte Jessen: "Ich wäre glücklich in meinem Grab, wenn auf diese Art und Weise an mich erinnert werden würde. Wir tun hier etwas Gutes. ,Tatort'-Kommissare sind schließlich die modernen Helden unserer Zeit, und wir lassen Selma Jacobi als Heldin wiederauferstehen. Das hätte ihr sicher gefallen". Ach ja? Woher wissen wir das? Oder fühlt sich da jemand, naiv oder perfide, eine unerträglich billige Story zusammen? Vielleicht ist Frau Jacobi von der SS vergewaltigt worden, womöglich kauerte sie in einem Viehwaggon, bevor sie nach fünf Monaten im Konzentrationslager Theresienstadt starb, so wie jeder zweite deutsche Häftling dort, aufgrund erbärmlichster Umstände. Glücklich im Grab? Gutes tun? Es ist anmaßend bis unverschämt, dieses Schicksal für TV-Unterhaltung zu kapern, im besten Fall naiv, vermutlich aber weit schlimmer.
Die Initiative Stolpersteine, die die Messingplatten verlegt, ist höchst befremdet und teilt mitnichten die Ansicht der hessischen Rundfunktionärin, die behauptet: "Das kann doch nur im Sinne des Opfers sein, das sicher nicht vergessen werden will." Unsinn. Erinnern bedeutet doch nicht, um jeden Preis an irgendwen oder irgendwas zu gemahnen. In dieser Logik könnte man den Tatort-Pathologen "Mengele" nennen, den Täter "Eichmann" und dreilagiges Klopapier "Weiße Rose". Vergisst man auch nicht.
Nein, Gedenken braucht Gedanken. Darauf aber verzichten die Tatort-Macher und suhlen sich stattdessen in selbstgerechter Hello-Kitty-Romantik. Angemessenes Erinnern hätte verlangt, Angehörige ausfindig zu machen und deren Meinung zu hören, bei einer jüdischen Gemeinde nachzufragen oder eben bei der Initiative Stolpersteine.
All das ist nicht geschehen. Es war offenbar einfach nur so 'ne Idee, deren Motiv vor allem billiges Aufmerksamkeitsheischen ist für zwei B-Ermittler, die nach dem Abschied der brillanten Kommissare Krol und Kunzendorfer fortan durch den Taunus strolchen, in viel zu großen Stiefeln. Man wird den Verdacht nicht los, dass hier Emo-PR mit Nazi-Opfern getrieben wird, brutalstmögliches Instrumentalisieren des Holocaust, unterm Tarnumhang des Mitgefühls.
Noch wäre Zeit, die Kommissarin umzubenennen - und möglichst nicht in Eva Braun. Andernfalls löst dieser Tatort, wenn er 2015 ausgestrahlt wird, eine weltweite Woge der Empörung aus, die Mimin und Verantwortliche wegspülen wird. Zu Recht.
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