BERLINER MORGENPOST: Flucht in die Teilzeit
Kommentar von Joachim Fahrun zu Pflegekräften
Berlin (ots)
Kurzform: Natürlich richten sich viele Forderungen der Pflegerinnen und Pfleger an die Bundesebene. Aber auch Berlin könnte handeln. Wenn Vivantes 55 Millionen Euro aus der eigenen Kasse für den Neubau des Krankenhauses Neukölln beisteuern muss, geht das auch auf Kosten der Beschäftigten. Eigentlich müsste das Land solche Investitionen tragen. Um wirtschaftlichen Druck von den Krankenhäusern und ihren Beschäftigten zu nehmen, sollte Berlin seinen Investitionspflichten nachkommen. Das wäre ein erster Schritt, um das Leben der Menschen, die uns im Ernstfall versorgen, erträglicher zu machen.
Der vollständige Kommentar:
Wer Kranke pflegt, neigt nicht zur Klage. Dass ihr Beruf emotionale Lasten bedeutet, dass die Bezahlung eher mau und der Stress vor allem in Notfällen immens ist, das war den Frauen und Männern klar, als sie sich für die Pflege im Krankenhaus entschieden haben. Wenn diese Menschen nun öffentlich und trotz des Widerstandes vieler Arbeitgeber ihre Situation beklagen, so ist das ein Alarmzeichen. Die Lage an Berlins Krankenhäusern ist dramatisch, die Arbeitsbelastung kaum noch zumutbar. Das spüren auch die Patienten. Das Instrument des Streiks zu nutzen, widerspricht dem Ethos dieser Menschen, die weder ihre Patienten noch ihre Kollegen im Stich lassen wollen. Ihre Form des Aufbegehrens ist das Sammeln von Unterschriften für ein Gesetz, das eine Rückkehr zu einer bedarfsgerechten Personalausstattung sicherstellt. Die hat es bis in die 90er-Jahre hinein gegeben. Seitdem sind zehn Prozent der Stellen in der Pflege abgebaut worden, obwohl deutlich mehr Menschen im Krankenhaus liegen. Der Druck ist so stark, dass sehr viele Pflegekräfte in Teilzeit flüchten, um sich selbst zu schützen. So frisst sich ein System selber. Teuer ausgebildete Fachkompetenz geht verloren, weil die Arbeitsbedingungen so schlecht sind. Dann fehlen wieder Fachkräfte und so weiter. Natürlich richten sich viele Forderungen der Pflegerinnen und Pfleger an die Bundesebene. Aber auch Berlin könnte handeln. Wenn Vivantes 55 Millionen Euro aus der eigenen Kasse für den Neubau des Krankenhauses Neukölln beisteuern muss, geht das auch auf Kosten der Beschäftigten. Eigentlich müsste das Land Berlin solche Investitionen tragen. Um wirtschaftlichen Druck von den Krankenhäusern und ihren Beschäftigten zu nehmen, sollte Berlin seinen Investitionspflichten nachkommen. Das wäre ein erster Schritt, um das Leben der Menschen, die uns im Ernstfall versorgen, erträglicher zu machen.
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