BERLINER MORGENPOST: Warum die Grünen Erfolge feiern - und warum das schnell wieder vorbei sein kann, Leitartikel von Alexander Kohnen
Berlin (ots)
Im November 2016 trafen sich die Grünen in Münster, ein paar Tage zuvor war Donald Trump zum 45. Präsidenten der USA gewählt worden - und auf dem Parteitag gab es vor allem Streit um die Vermögenssteuer für "Superreiche". Der Eindruck, der hängen blieb: Die Welt verändert sich radikal, und die Grünen beschäftigten sich mal wieder nur mit sich selbst. Bei der Bundestagswahl im September 2017 erreichten sie 8,9 Prozent und wurden die kleinste Fraktion.
Im November 2018 treffen sich die Grünen in Leipzig - und es könnte ihnen nicht besser gehen. 17,5 Prozent bei der bayerischen Landtagswahl eingefahren, die SPD klar hinter sich gelassen. In Hessen 19,8 Prozent geholt. Mehrere Umfragen sehen die Partei bundesweit bei 21 bis 24 Prozent. Was steckt hinter diesem Höhenflug?
Die Grünen sind in der Opposition - müssen also keine unbequemen, unpopulären Entscheidungen mittragen. Gleichzeitig profitieren sie vom miserablen Erscheinungsbild der großen Koalition.
Einen gewissen Anteil am Aufschwung, aber wahrscheinlich geringer als die Parteispitze glaubt, hat das neue, ehrgeizige Führungsduo. Annalena Baerbock und Robert Habeck wirken frisch, jung und kreativ im Vergleich zum Personal der politischen Konkurrenz. Seit ihrer Wahl im Januar haben sie keine großen Fehler gemacht. Und sie haben es geschafft, den Streit zwischen den Flügeln zu beenden.
Ein weiterer Grund für den Höhenflug: Viele Wähler sehen die Grünen als Anti-AfD, die sich klar für Humanität in der Flüchtlingsfrage ausspricht. Die meisten Parteien sind bei diesem Thema gespalten, es ist unklar, wo CDU, CSU, FDP und die Linke stehen. Wer die Rhetorik der AfD-Politiker ekelhaft findet, ist gefühlsmäßig bei den Grünen gut aufgehoben.
Doch 2019 stehen Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg an. Hier sind die Grünen, obwohl sie das ostdeutsche "Bündnis 90" im Namen tragen, schwach aufgestellt. Sie haben kaum Mitglieder - geschweige denn Wahlkämpfer. Vor allem auf sächsischen Marktplätzen drohen Auseinandersetzungen mit Neonazis oder Pegida-Anhängern. Viele Ostdeutsche können mit der akademischen Attitüde der Grünen nichts anfangen. Läuft es ganz schlecht, fliegen die Grünen aus allen drei Landesparlamenten. Die Ost-Wahlen werden die erste harte Bewährungsprobe für Baerbock und Habeck. Wenn sie hier schlechte Ergebnisse holen, könnte der Aufschwung schnell vorbei sein.
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