Alle Storys
Folgen
Keine Story von BERLINER MORGENPOST mehr verpassen.

BERLINER MORGENPOST

Lichte und Schatten
Leitartikel von Ulrich Kraetzer zu Gewalt am 1. Mai

Berlin (ots)

Kurzform: Wie man das Demonstrationsrecht auch in Corona-Zeiten ohne allzu große Gefahren für das Infektionsgeschehen wahrnehmen kann, zeigten die Teilnehmer des Fahrradkorsos, die ihre - ebenfalls kapitalismuskritische Meinung - auf die Straße brachten. Radfahrerinnen und Radfahrer, die ihr Demonstrationsrecht kraftvoll, aber verantwortungsbewusst wahrnehmen und dabei Spaß haben: Dies sind die Bilder, die man sich von einem 1. Mai - dem Tag der Arbeit und dem Tag, an dem das sehr grundsätzliche Nachdenken über unser politisches, gesellschaftliches und wirtschaftliches System zur guten Tradition geworden ist - wünscht. Auf Bilder von Angriffen gegen diejenigen, die das Demonstrationsrecht absichern, können wir gern verzichten.

Der vollständige Leitartikel: An der Sonnenallee ist es am 1. Mai dann doch wieder so gewesen wie in vielen Jahren zuvor: Linksradikale bewarfen Polizisten mit Flaschen und hielten die Beamten mehrere Stunden in Atem. Der Plan, die "Revolutionäre 1. Mai-Demonstration" bis zum geplanten Endpunkt zu geleiten, war damit gescheitert. Die Demonstration wurde vorzeitig aufgelöst. Die Polizei wirkte in dieser Phase überfordert, schien nicht vor die Lage zu kommen, sondern ließ sich auf ein Katz-und-Maus-Spiel mit Krawallmachern ein, wie man es am 1. Mai schon länger nicht mehr zu sehen bekam. Es waren schlimme Szenen - an einem ansonsten weitgehend friedlichen Tag.

Ob die Polizei die zwischenzeitliche Eskalation durch eine andere Taktik hätte verhindern können, wird aufzuklären sein. Wer für die Gewalt verantwortlich ist, konnten alle, die die unschönen Szenen beobachteten, indes ohne Zweifel feststellen. Es waren gewaltbereite Linksextremisten, mehr als erwartet, die die Beamten gezielt attackierten, Verletzungen in Kauf nahmen oder sogar beabsichtigten. Die vorläufige Bilanz: mehr als 90 zum Teil auch schwer verletzte Polizisten. Das politische Anliegen der "revolutionären" Demonstranten, eine radikale Kapitalismus-Kritik, mag man teilen oder nicht. Denn selbst radikal abweichende Meinungen sind in einer pluralistischen Demokratie erlaubt. Wer sie auf die Straße bringen will, darf das tun. Mit ihrer Militanz überschritten etliche Demonstranten allerdings auch in diesem Jahr eine rote Linie. Das ist nicht zu akzeptieren - und bedauerlich. Denn die Demonstration begann friedlich und entspannter als in vorherigen Jahren.

Die unschönen Szenen ergaben spektakuläre Bilder. Man sollte sich durch sie aber nicht darüber hinwegtäuschen lassen, dass die Berliner Polizei die vielen Demonstrationen in der Gesamtschau betrachtet im Griff hatte und es den Berlinerinnen und Berlinern so ermöglichte, ihr Grundrecht auf Versammlungsfreiheit wahrzunehmen.

Das machten die Berliner auch in Pandemie-Zeiten. Die meisten verhielten sich verantwortungsvoll, trugen Mund-Nasen-Bedeckungen und hielten die Abstände ein. Zwar weigerten sich viele Teilnehmer einer überschaubaren Demonstration der "Querdenker"-Szene in Lichtenberg beharrlich, Masken zu tragen. Doch in dem Milieu verschwurbelter Verschwörungsideologen war das nicht anders zu erwarten. Die Polizei ging dagegen vor.

Auch bei der "Revolutionären 1. Mai-Demonstration" musste die Polizei Teilnehmer herauslösen, weil sie die Mindestabstände ignorierten. Doch hier beachteten die meisten das Maskengebot. Die Abstände einzuhalten, war indes nicht möglich. Es waren zu viele Menschen auf zu engem Raum unterwegs. Wer das unterbinden will, sollte nicht nach der Polizei rufen - sondern muss für Pandemiezeiten gesetzliche Einschränkungen für Demonstrationen festschreiben.

Wie man das Demonstrationsrecht auch in Corona-Zeiten ohne allzu große Gefahren für das Infektionsgeschehen wahrnehmen kann, zeigten die Teilnehmer des Fahrradkorsos, die ihre - ebenfalls kapitalismuskritische Meinung - auf die Straße brachten. Radfahrerinnen und Radfahrer, die ihr Demonstrationsrecht kraftvoll, aber verantwortungsbewusst wahrnehmen und dabei Spaß haben: Dies sind die Bilder, die man sich von einem 1. Mai - dem Tag der Arbeit und dem Tag, an dem das sehr grundsätzliche Nachdenken über unser politisches, gesellschaftliches und wirtschaftliches System zur guten Tradition geworden ist - wünscht. Auf Bilder von Angriffen gegen diejenigen, die das Demonstrationsrecht absichern, können wir gern verzichten.

Pressekontakt:

BERLINER MORGENPOST

Telefon: 030/887277 - 878
bmcvd@morgenpost.de

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell

Weitere Storys: BERLINER MORGENPOST
Weitere Storys: BERLINER MORGENPOST
  • 01.05.2021 – 20:59

    Mehr politische Vorgaben nötig / Kommentar von Dominik Bath zur Parkreinigung durch die BSR

    Berlin (ots) - Kurzform: Klar ist, gegen unachtsam weggeworfenen Müll helfen die besten Reinigungskräfte nichts. Um das Problem an der Wurzel zu packen, sind Konzepte und Alternativen notwendig, mit denen sich Müll vermeiden lässt. In einer Stadt wie Berlin mit zahlreichen Gastronomieangeboten müssen sich noch stärker als bislang Pfandsysteme durchsetzen. Auch ...

  • 27.04.2021 – 18:34

    Aus Fehlern lernen - Kommentar von Isabell Jürgens

    Berlin (ots) - Mit dem "Bündnis für das Wohnen in Hamburg" setzt die Hansestadt seit zehn Jahren bundesweit neue Maßstäbe beim Wohnungsbau. Die Neubauaktivitäten übertreffen an der Elbe seitdem regelmäßig die Zielzahlen. An der Spree in Berlin ist es genau umgekehrt: Der Senat hat seine Zielzahlen in den vergangenen Jahren nicht über-, sondern unterboten. Die Erkenntnis, dass es besser ist, ein Bündnis mit denen ...

  • 26.04.2021 – 21:25

    Verschlafene Zukunft / Kommentar von Joachim Fahrun zu Berliner Rechnungshofbericht

    Berlin (ots) - Kurzform: Es wäre vermessen zu behaupten, ein solches Mega-Projekt wie die Modernisierung der IT-Infrastruktur ohne Pannen umsetzen zu wollen. Aber in Berlin hemmt wieder mal das alte Leid: die zweistufige Verwaltung mit eigenwilligen Bezirksämtern, schlechte Steuerung, unklare Zielbeschreibungen und kaum politische Kontrolle. Dass das Land beim ...