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So verspielt man Vertrauen
Leitartikel von Theresa Martus zur Wahlrechtsreform

Berlin (ots)

Änderungen am Wahlrecht sind heikle Operationen: Die Gewählten entscheiden über die Spielregeln für die nächsten Wahlen und damit auch ein Stück weit über das eigene Schicksal. Die, die jetzt Macht haben, bestimmen über ihre Verteilung in der Zukunft. Das erfordert ein besonderes Gefühl für Fairness und demokratischen Anstand, jedes Mal. Die aktuelle Reform ist keine Ausnahme. Doch nach dem Beschluss des Bundestags am Freitag muss man festhalten, dass die Ampelkoalition bei diesem Balance-Akt abgestürzt ist.

Problematisch sind zwei Punkte. Zum einen die Antwort, die die Koalitionäre geben auf die wachsende Zahl von Überhang- und dadurch ausgelösten Ausgleichsmandaten: Dass Erst- und Zwei­tstimmenanteile oft nicht zusammenpassen, löst die Reform, indem sie das Gewicht hin zu den Zweitstimmen verschiebt. Wenn Überhangmandate entstehen, hat ein Teil der direkt gewählten Kandidaten künftig schlicht Pech - sie werden nicht einziehen ins Parlament. Wird aus deren Wahlkreisen dann auch über die Listen niemand gewählt, könnten ganze Regionen ohne direkten Ansprechpartner im Bundestag dastehen.

Betroffen wären unter anderem mehrere Wahlkreise in Ostdeutschland, wo das Vertrauen in die Demokratie auf wackeligen Füßen steht. Ob der Demokratie damit ein Dienst erwiesen wird, ist fraglich.

Viel gravierender ist aber eine Änderung, die SPD, Grüne und FDP im Hauruck-Verfahren noch auf den letzten Metern ergänzt haben: der Wegfall der Grundmandatsklausel. Die legt derzeit fest, dass eine Partei auch dann in Fraktionsstärke im Parlament sitzt, wenn sie zwar unter fünf Prozent der Stimmen, aber mindestens drei Direktmandate bekommen hat.

Fällt diese Regel jetzt weg, trifft das vor allem zwei Parteien: Zum einen Die Linke, für die die Klausel 2021 nach einem 4,9-Prozent-Ergebnis der Rettungsanker für ihre weitere Existenz als Fraktion war. Und die CSU - die hatte 2021 zwar bis auf München-Süd alle Direktmandate in Bayern gewonnen, kam aber auf den Bund hochgerechnet nur auf 5,2 Prozent der Stimmen. Etwas weniger beim nächsten Mal, und auch sie wäre raus aus dem Bundestag. Eine Änderung, die vor allem zwei von vier Oppositionsparteien gefährdet, durchgesetzt gegen den expliziten Rat von Experten - das ist ein fundamentaler Webfehler des neuen Wahlrechts, und er provoziert geradezu die Wahrnehmung, dass es den Ampel-Parteien eben doch nicht nur darum ging, politisch möglich neutral die beste Lösung zu finden. Diese Entscheidung ist geeignet, die Legitimation des ganzen, dringend notwendigen Projekts zu untergraben.

Ausgerechnet die CSU allerdings, die im Streit um die Wahlrechtsreform jetzt die schrillsten Töne anschlägt in ihrer Kritik (von "Machtmissbrauch" und "Schurkenstaat" ist zum Beispiel die Rede, um nur mal Generalsekretär Martin Huber zu zitieren), ist an ihrer neuen Lage nicht unschuldig. Über mehrere Jahre und unionsgeführte Wahlperioden hinweg hat die Partei alle Versuche, im Konsens einen Weg zu einem kleineren Bundestag zu finden, blockiert, auch zum Unmut von Kolleginnen und Kollegen in der CDU.

Doch mit den Versäumnissen und Egoismen der anderen kann die Ampel eigene Fehler nicht rechtfertigen. Die CSU wird nicht zögern, diese Reform aufzunehmen in die Playlist ihrer Wahlkampf-Hits, in Dauerschleife bis Anfang Oktober. Wenn das dann in den Köpfen hängen bleibt, haben sich die Ampel-Parteien das vor allem selbst zuzuschreiben.

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