"Berliner Morgenpost": Nur ein erster Schritt - Leitartikel von Torsten Knuf zum Deutschlandticket
Berlin (ots)
Jetzt wird sie also Realität, die große Freiheit in Bussen und Bahnen. Am Montag geht endlich das Deutschlandticket an den Start. Die Debatten und Vorbereitungen waren kompliziert. Aber sie haben sich gelohnt: Für 49 Euro pro Monat kann fortan jeder das komplette Angebot des Nah- und Regionalverkehrs von Flensburg bis Garmisch und von Aachen bis Frankfurt (Oder) nutzen. Die Kleinstaaterei der Verkehrsverbünde wird überwunden. Ein Land, ein Ticket: Bewohner benachbarter Staaten beneiden uns darum.
Das Angebot wird das Leben von vielen Millionen Pendlern, Erholungssuchenden und Urlaubern einfacher machen. Es ist nicht nur gut für die Umwelt und die Verkehrswende in diesem Land. Sondern auch eine praktische Antwort auf die schnell steigenden Lebenshaltungskosten. Etliche Stammkunden der Verkehrsverbünde werden mit dem Deutschlandticket deutlich billiger unterwegs sein als mit ihren bisherigen Abonnements - und das bei einem deutlich erweiterten Radius. Viele Verbraucher werden sich genau überlegen, ob es sich nicht lohnt, öfter mal das Auto stehen zu lassen.
Der Ampel-Regierung und den Bundesländern gebührt Applaus für das Deutschlandticket. Sie haben es gemeinsam konzipiert, sie stellen das Geld dafür bereit. Im Grunde ist es verwunderlich, dass sich die Koalition nicht seit Wochen für dieses bürgernahe Projekt selbst feiert. Stattdessen lebt sie ihre Meinungsverschiedenheiten in der Verkehrs- und Umweltpolitik aus.
Der überragende Erfolg des 9-Euro-Tickets aus dem vergangenen Sommer hat eine Nachfolgelösung fast zwingend gemacht. Noch ist nicht alles perfekt, da haben Kritiker recht. Für 49 Euro pro Monat bekommt man jetzt wirklich sehr viel. Aber 49 Euro sind für sehr viele Menschen eben auch viel Geld. Es fehlen flächendeckende Regelungen für Familien, Studenten oder Personen mit geringen Einkommen. Da muss die Politik dringend nachbessern. Aber das wissen die Beteiligten.
Richtig ist jedoch zugleich: Das günstigste und cleverste Ticket nützt Verbrauchern nichts, wenn ihm kein akzeptables Angebot an öffentlichen Verkehrsmitteln gegenübersteht. Menschen in Ballungsräumen mit gut ausgebautem Nah- und Regionalverkehr sind die großen Gewinner des Deutschlandtickets. Wer aber in ländlichen Regionen lebt, wo mitunter nur zwei oder drei Mal pro Tag ein Bus in die nächstgelegene Stadt zuckelt, der guckt in die Röhre.
So gesehen ist das Deutschlandticket zwar eine feine Sache. Aber es ist eben auch nur ein Schritt in dem großen Unterfangen, das sich "Verkehrswende" nennt. Deutschland will und muss bis 2045 klimaneutral werden. Vor allem im Verkehrssektor müssen die Treibhausgas-Emissionen radikal sinken. Das wird nicht gehen ohne eine massive Erhöhung des Angebots an Bussen und Bahnen - und zwar gleichermaßen in den Städten wie auf dem flachen Land.
Unter den gegebenen Umständen fällt es Ländern und Kommunen schon schwer genug, bei steigenden Kosten das bisherige Angebot aufrechtzuerhalten. Notwendig sind aber gigantische Investitionen in Qualität und Quantität des Angebots, die über Jahrzehnte verstetigt werden müssen. Deutschland braucht mehr und modernere Busse, am besten mit Elektro-Antrieb. Notwendig sind auch mehr Trams, U-Bahnen, Regionalzüge, barrierefreie Stationen, Park-and-Ride-Anlagen und mehr Digitalisierung. Im Grunde hat die Arbeit an einem besseren Nah- und Regionalverkehr in Deutschland gerade erst begonnen.
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