"Berliner Morgenpost": Ampel muss nacharbeiten
Leitartikel von Jan Dörner zur Energiepreisbreme
Berlin (ots)
Haben Sie im letzten Sommer auch immer nur kurz geduscht? Schließlich war infolge des Konflikts mit Russland nach dem Angriff des Landes auf die Ukraine nicht klar, ob unser Gas für den Winter reicht. Andererseits waren die Preise für Energie in die Höhe geschossen. Mit jedem Tropfen aus dem Duschkopf sah man den Verbrauchszähler vor dem inneren Auge, dessen Anzeige rasch rotierte. Wie teuer wird das für uns, war eine bange Frage, die viele Familien sich in der Zeit beim Verbrauch von Energie stellten.
Bis zum Winter entspannte sich die Lage etwas: Die Gasspeicher waren gut gefüllt, als es kälter wurde. Dank der Einsparungen vieler Bürger und auch Firmen. Zudem hatte sich die Bundesregierung um Alternativen zu russischem Gas bemüht. Die Koalition nahm Milliarden in die Hand, um die ärgsten Belastungen durch die Preissteigerungen abzudämpfen. Berechnungen zeigen, dass der Staat damit in den meisten Fällen wohl nicht alle Zusatzbelastungen ausgeglichen hat, aber immerhin einen großen Teil.
Ein wichtiger Teil der Entlastungspakete war die Strom- und Gaspreisbremse. Dahinter stand das Versprechen, für beide Energieträger 80 Prozent des bisherigen Verbrauchs zu einem gedeckelten Preis zur Verfügung zu stellen. Seien wir ehrlich: Wie die Bremse genau funktioniert, haben viele von uns nicht in allen Details verstanden. Auch nicht, oder schon gar nicht, nachdem wir die entsprechenden Informationsschreiben der Energieversorger im Briefkasten hatten.
Aber die Botschaft der Regierung war klar: Solange man sich weiter einschränkt, kann die Energierechnung gar nicht ins Unermessliche steigen. Das ließ einen etwas entspannter duschen, ohne immer an den Verbrauchszähler zu denken. "You'll never walk alone - wir werden niemanden alleinlassen", lautete das Versprechen von Bundeskanzler Olaf Scholz. Die Energiepreise sind inzwischen gesunken, sodass manche Anbieter wieder unter den Preisbremsen liegen.
Also alles gut? Nein: Es hat sich gezeigt, dass die Strom- und Gaspreisbremse einige Konstruktionsfehler hat. Der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv) hat die Klagen von Bürgerinnen und Bürgern untersucht und in einem Bericht zusammengefasst: Abschlagszahlungen wurden zu hoch angesetzt. Die für die Berechnung der Entlastung entscheidenden Verbrauchsprognosen entsprachen nicht der Realität. Komplexere Fälle konnten nicht berechnet werden. Geschildert werden gesammelte Einzelfälle, vielen Haushalten dürften etwaige Ungereimtheiten aber gar nicht aufgefallen sein, da die Materie nur schwer zu durchschauen ist.
Für einen Teil des Chaos' sind den Verbraucherschützern zufolge Energieanbieter und Netzbetreiber verantwortlich, die durch den Verbrauch ihrer Kunden offenbar teilweise selbst nicht durchblickten - und dann in vielen Fällen für Fragen nicht sinnvoll zu erreichen waren. Für die Branche sind die Ergebnisse des Berichts alles andere als ein Ruhmesblatt. In der Verantwortung sieht der vzbv aber auch die Bundesregierung: Die Verbraucher seien mit Problemen konfrontiert, die in der Konstruktion der Gesetze selbst bereits angelegt seien, lautet die Kritik. Als Folge dieser "handwerklichen Fehler und Ungenauigkeiten" hätten längst nicht alle Verbraucher die durch die Preisbremsen gewollten Entlastungen erhalten. Die Bundesregierung muss Unklarheiten im Gesetz beseitigen, damit alle Haushalte auch rückwirkend von den Preisbremsen profitieren. Das "You'll never walk alone"-Versprechen gilt schließlich noch.
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