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Berliner Morgenpost: Nur Verlierer
ein Kommentar von Gudrun Büscher zum Assange-Deal

Berlin (ots)

Wie schnell ein Mensch altern kann. Die Bilder von Julian Assange, der das Flugzeug Richtung Australien besteigt, zeigen einen alten, grauen Mann mit starren Gesichtszügen. In wenigen Tagen wird er 53 Jahre alt. Doch er sieht aus wie ein Mann im Rentenalter.

2019 musste er die Botschaft von Ecuador verlassen. Dorthin war der Wikileaks-Gründer geflüchtet, um nicht verhaftet und an die USA ausgeliefert zu werden, wo ihm wegen Geheimnisverrats ein Spionageprozess drohte. Er wurde sofort festgenommen, saß seitdem in einem Hochsicherheitsgefängnis in London und kämpfte mit allen juristischen Mitteln gegen seine Auslieferung an die USA. Jetzt gibt es offenbar einen Deal mit der US-Justiz, der den Weg in die Freiheit weist. Endlich!

Julian Assange, der unbeugsame Whistleblower, in dem viele Menschen eine Ikone der Pressefreiheit sehen, wollte sich nie schuldig bekennen, weil er etwas öffentlich gemacht hat, was seiner Meinung nach nicht geheim sein sollte - Kriegsverbrechen.

Die Vereinigten Staaten werfen ihm vor, mit der Whistleblowerin Chelsea Manning geheimes Material von Militäreinsätzen im Irak und in Afghanistan gestohlen, veröffentlicht und damit das Leben von US-Informanten und Soldaten in Gefahr gebracht zu haben. Es drohten ihm bis zu 175 Jahre Haft. Sein Schuldeingeständnis könnte nun der Kompromiss sein, den er dann doch gemacht hat, um endlich wieder frei zu sein.

Auch die USA hatten Interesse daran, diesen ebenso komplizierten wie komplexen Rechtsstreit zu beenden. Assanges Kräfte schwanden. Er wurde krank und litt offenbar an schweren Depressionen. Wie lange hätte er die Haft noch ausgehalten? So zynisch es auch klingt: Wäre er in Haft gestorben, wäre er für die USA zu einem noch viel größeren Problem geworden. Der Kompromiss ist gesichtswahrend für beide Seiten.

Seit Wochen deutete sich die Bewegung an. Spätestens als US-Präsident Joe Biden signalisierte, er erwäge, der Bitte Australiens nachzukommen, Assange in seine Heimat ausreisen zu lassen, kam Hoffnung auf. Nicht nur seine Frau Stella ist erleichtert, dass die dunklen Jahre schon bald der Vergangenheit angehören könnten. Seine Mutter Christine erklärte, die Ausreise zeige, wie "wichtig und mächtig stille Diplomatie ist". Wie recht sie hat.

Ende gut, alles gut? So einfach ist es nicht. Im Fall Assange haben alle verloren. Der Australier einen großen Teil seines Lebens. Er war allein in einer zwei mal drei Meter großen Zelle. Er hat seine beiden jüngsten Kinder, die während seiner Asyl-Zeit in der Botschaft von Ecuador zur Welt kamen, nicht aufwachsen sehen. Die beiden Kleinen kennen ihren Vater nur aus dem Gefängnis.

Auch das Ansehen des Journalismus hat Schaden genommen. Es geht nicht darum, einfach alles öffentlich zu machen, was man findet oder zur Verfügung gestellt bekommt. Eine Reihe westlicher Investigativ-Journalisten verlangten damals, Assange müsse die Daten prüfen, bevor er sie ins Internet stellt. Und das ist auch richtig, das gehört zum Beruf. Assange wollte das aber nicht. "Australiens versiertester Hacker", wie der "Guardian" ihn nannte, hatte seine eigene Agenda.

Verloren haben aber auch die USA. Was die Dokumente ans Licht brachten, hat der Weltmacht schwer geschadet. Wer auf die Einhaltung von Menschenrechten pocht, Rechtsstaatlichkeit einfordert, für Freiheit und eine bessere Welt kämpft, kann und darf selbst nicht neben dem Recht und der Menschlichkeit stehen.

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