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BERLINER MORGENPOST

Berliner Morgenpost: Kommentar - MoMA

Berlin (ots)

Der überwältigende Publikumserfolg der Ausstellung
des New Yorker Museum of Modern Art in Berlin verlangt nach einer
Erklärung. Was lässt bis jetzt, knapp drei Wochen vor Schluss, eine
Million Menschen die Beschwernisse stundenlangen Wartens in der
inzwischen legendären MoMA-Schlange auf sich nehmen, die sich an
manchen Tagen mehrfach um den Glasbau der Neuen Nationalgalerie
windet? Die Kunstkritik hat mit einer Mischung aus Herablassung und
Verblüffung auf das Ereignis reagiert. Griesgrämig sprach sie von
einem Spektakel auf Kosten der Kunst. Auch der Nachdruck, mit der die
Politik das Ausstellungsprojekt förderte, erregte Verdacht. Sollte
die Kunst eingespannt werden, um die deutsch-amerikanischen
Beziehungen aufzuhübschen? Verband sich damit ein amerikanischer
Anspruch auf die Deutungshoheit über die Moderne? Ist die Berliner
MoMA-Ausstellung gar eine „amerikanische Unfehlbarkeitserklärung“? Ob
windiges Spektakel oder kunstgeschichtliche Kriegserklärung,
ausgespart bleibt bei den Deutungen das eigentliche Rätsel, die alle
Erwartungen übertreffende Anziehungskraft dieser Schau, die zudem
selbst schöpferisch wird, indem sie ein soziales Kunstwerk
hervorbringt: die Schlange. Die Nachhaltigkeit dieser sozialen
Erscheinung an diesem Ort kann mit bloßer Sensationsgier der
Wartenden nicht erklärt werden. Freiwillig begeben sich Tag für Tag
Tausende in eine Situation, die in der kollektiven Erinnerung eher
für Gefahr und Bedrückung steht. Ironisch gebrochen wird sie jetzt
zum sozialen Erlebnis. Die Schlange macht die MoMA-Ausstellung zu
einem Gesamtkunstwerk des zwanzigsten Jahrhunderts. Am Anfang hieß
es, das MoMA sei der Star. Aber dieser Star hat Zuwachs bekommen. Dem
Einzelnen mag das nicht oder nur zum Teil bewusst sein. Doch man kann
sich schwer vorstellen, dass die Beschwerlichkeit des Weges zur Kunst
auf ihn nicht einen eigenen Reiz ausübt. Sie macht die Begegnung mit
den mythischen Werken trotz deren medialer Allgegenwart zu einer
einmaligen Lebenserfahrung. Das MoMA-Ereignis offenbart eine große
Sehnsucht nach Spiritualität und Bildungsreichtum. Die MoMA-Schlange
wird nicht auf Dauer verschwinden. Aus ihr kommt die Erneuerung der
Gesellschaft, da mag am Standort Deutschland herumbasteln, wer will.
ots-Originaltext: Berliner Morgenpost
Digitale Pressemappe:
http://www.presseportal.de/story.htx?firmaid=53614

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Berliner Morgenpost
Telefon: 030/25910
Fax: 030/25913244

Original-Content von: BERLINER MORGENPOST, übermittelt durch news aktuell

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