Zahlungsverhalten: Druck auf KMUs steigt
Immer mehr Unternehmen sehen sich gezwungen, längere Zahlungsfristen zu akzeptieren
Jedes zweite Unternehmen wird um Verlängerung gebeten
Darmstadt (ots)
Trotz einer wirtschaftlich positiven Entwicklung, verschlechtern sich die Zahlungsbedingungen in Deutschland. Nach den Ergebnissen des European Payment Reports 2017 (EPR) von Intrum Justitia, wurden 52 Prozent der Unternehmen in Deutschland gebeten, längere Zahlungsziele einzuräumen und zu akzeptieren. Im Vorjahr waren es nur 11 Prozent. Dieses Problem besteht in ganz Europa, so liegt der Wert europaweit sogar bei 61 Prozent (Vorjahr 46). "Einstellungen und Verhalten müssen sich ändern, damit sich langfristig faire Zahlungsbedingungen entwickeln können.", fordert Jürgen Sonder, Geschäftsführer von Intrum Justitia in Darmstadt.
Interessant ist, dass die Mehrzahl der Anfragen (63 Prozent) nach einer Fristverlängerung oder Sonderkonditionen von großen, multinationalen Unternehmenskunden gestellt werden. In den meisten Fällen ist es schwierig, solchen oft größeren Kunden diese Bitte abzulehnen. "Dies führt dann zu einer Abwärtsspirale, da die Lieferanten der betroffenen Unternehmen ihr Geld ebenfalls später erhalten", sagt Jürgen Sonder. Insgesamt gaben nur 12 Prozent der deutschen Unternehmen an, Rechnungen immer pünktlich zu zahlen.
Die Europäische Richtlinie zur Bekämpfung von Zahlungsverzug sieht 30 bis 60 Tage Zahlungsfrist für Geschäfte mit Firmenkunden vor, aber hiervon wird offensichtlich häufig abgewichen. Verspätete Zahlungen und lange Zahlungsfristen verursachen Probleme für die Unternehmen. Befragt, wie sie selbst mit Rechnungen von anderen Firmen umgehen, antworteten 87 Prozent der befragten deutschen Unternehmen, dass sie selbst gelegentlich eine Rechnung erst nach Ablauf der Zahlungsfrist bezahlen. Dies führt zu einer Kettenreaktion: Je mehr Unternehmen betroffen sind und ihr Wachstum verlangsamen, desto mehr Zulieferer des Unternehmens sind ebenfalls betroffen. Das kostet nicht nur Arbeitsplätze, sondern hemmt weitere Wachstumschancen.
Problem: Bewusster Zahlungsverzug
Dass die Zahlungskultur sich ändern muss, zeigen auch die Antworten auf die Frage nach den Gründen, warum Kunden Rechnungen spät bezahlen. 77 Prozent der befragten deutschen Unternehmen gaben finanzielle Schwierigkeiten ihrer Schuldner als Grund an. Verbesserungspotenzial in den administrativen Abläufen der Kunden nannten 33 Prozent als mögliche Ursache für verspätete Zahlung, 20 Prozent Streitigkeiten hinsichtlich der gelieferten Waren und Dienstleistungen. Und sogar 74 Prozent der deutschen Unternehmen (Europa 55 Prozent) geben an, dass ihre Kunden die Zahlung bewusst verzögern. "Auch dies kann seinen Ursprung darin haben, das die Kunden selbst auf ihr Geld warten müssen. Die positive Entwicklung der deutschen Wirtschaft wird durch schlechtes Zahlungsverhalten nachhaltig gefährdet", sagt Jürgen Sonder. "Es kann nicht sein, dass Unternehmen ihren Lieferanten Zahlungsziele von 90 Tagen oder länger aufzwingen wollen oder ohne Vereinbarung einfach später zahlen. Die fehlende Liquidität lähmt die Entwicklung der Wirtschaft". Neue Initiativen würden gebraucht, um eine neue Kultur der pünktlichen und schnelleren Zahlung zu etablieren.
Wunsch nach gesetzlichen Regelungen
Die wirtschaftliche Entwicklung stellt neue Anforderungen an Zahlungsbedingungen. 80 Prozent der befragten deutschen Unternehmen sind der Meinung, dass etwas gegen Zahlungsverzug unternommen werden muss. So würde ein Großteil der deutschen Unternehmen (65 Prozent) neue nationale gesetzliche Regelungen begrüßen, während 36 Prozent eher freiwillige Initiativen bevorzugen, um eine neue, zügige Zahlungskultur zu fördern. In Deutschland fordern wesentlich mehr Unternehmen neue Gesetze als der europäische Durchschnitt. "Das kann daran liegen, dass nach unserer Befragung zwar 63 Prozent der befragten deutschen Unternehmen die EU-Zahlungsverzugsrichtlinie kennen, sie aber für unzureichend halten. Denn nur wenige Unternehmen (11 Prozent) haben einen positiven Einfluss festgestellt, also eine Reduzierung des Zahlungsverzugs", berichtet Jürgen Sonder. Mit ihrer Zahlungsverzugsrichtlinie hatte die EU beabsichtigt, verspätete Zahlungen im Handelsverkehr zu bekämpfen, um gerade kleine und mittelgroße Unternehmen (KMU) zu schützen. EU-Kommissarin Elzbieta Bienkowska, zuständig für Binnenmarkt, Industrie, Unternehmertum und KMU, stellte bereits im vergangenen August fest, dass "es noch zu tun gibt, bevor eine konsequente Kultur der sofortigen Zahlung Wirklichkeit wird". Das bestätigen die Ergebnisse des EPR eindrucksvoll.
Der Cashflow muss planbar sein
Die Liquidität ist für den Inhaber eines kleinen Unternehmens überlebenswichtig. Eine angespannte Liquiditätssituation gefährdet seine Existenz. Im Durchschnitt werden in Deutschland ausstehende Rechnungen von Konsumenten nach 12 Tagen und von Firmenkunden nach 19 Tagen bezahlt. Es ist schwierig, von einem großen und wichtigen Kunden kürzere Zahlungsfristen zu fordern, da dies die Geschäftsbeziehung zum Kunden gefährden kann. Dazu kommt, dass die deutschen Unternehmen 2,5 Prozent ihres Umsatzes 2016 abschreiben mussten, weil sie keine Zahlungen mehr erwarten konnten.
Die Unternehmen müssen ihre Liquidität und ihren Cashflow planen können, um optimale und möglichst risikoarme Investitionsentscheidungen treffen zu können oder neue Mitarbeiter einzustellen. Wenn Rechnungen nicht fristgerecht bezahlt werden, kann dies schwerwiegende Konsequenzen haben. Ein Drittel (32 Prozent) der deutschen Unternehmen gaben beispielsweise an, mehr Mitarbeiter einzustellen zu können, wenn sie sich sicher sein könnten, dass Zahlungen schneller geleistet werden. Angesichts dieser Situation ist es mehr als erstaunlich, dass noch nicht alle Unternehmen Maßnahmen ergreifen, sich gegen Zahlungsausfall abzusichern und sich mit bewährten Instrumenten wie Bankgarantien, Kreditversicherungen, Vorauszahlungen, externes Forderungsmanagement oder Factoring zu schützen.
Über die Studie "European Payment Report"
Der European Payment Report (EPR) von Intrum Justitia misst das geschäftliche Risiko in europäischen Ländern anhand einer Umfrage unter Unternehmen. Die Umfrage wurde zwischen Februar und März 2017 gleichzeitig in 29 Ländern durchgeführt. An der Befragung nahmen 10.468 Unternehmen teil.
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