Mit Bewegungs- und Therapieangeboten zurück in den Alltag
Bonn/Frechen (ots)
Eine schwere Verletzung des Gehirns ist für eine betroffene Person ein tiefgreifendes traumatisches Erlebnis, das sie zu einer völligen Neuorientierung in fast allen Lebensbereichen zwingt. Den Betroffenen drohen der Verlust sozialer Kontakte sowie der Verlust des ausgeübten Berufs. Damit das Leben auch nach einem schweren Unfall wieder gelingen kann, benötigen sie eine lückenlose Begleitung vom Klinikaufenthalt über die Rehabilitationsmaßnahmen bis hin zur Wiedereingliederung in ihr normales Leben.
Es sind oft nur Bruchteile von Sekunden, die Menschen aus ihrem sozialen und beruflichen Umfeld herausreißen können. Durch Unfälle im Straßenverkehr, beim Sport, bei der Arbeit oder im häuslichen Bereich erleiden jährlich rund 270.000 Menschen in Deutschland eine Hirnverletzung. Eine langwierige Phase aus Klinikaufenthalt, Rehabilitationsmaßnahmen und Wiederaufnahme des Alltages beginnt. Im Alter von 16 Jahren erlebte der heute 34jährige Jan Kock einen folgenschweren Unfall mit dem Mofa. Er wurde von einem Auto angefahren. Sein Kopf schlug auf den Bordstein. Die Folgen waren schwere Schädelhirnverletzungen. Drei Jahre saß er im Rollstuhl und kämpfte sich Stück für Stück zurück ins Leben. Er machte den Führerschein und schloss eine Ausbildung ab. Für ihn hatte es aber lange gedauert, einen Job zu finden. Seit 2014 arbeitet Jan Kock im Hotel "Independenz" in Mainz. Das Hotel bietet auch Menschen mit Behinderung berufliche Möglichkeiten. "Ich hätte eine Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen schnell haben können. Das war für mich aber keine Perspektive", sagt Jan Kock.
Auch für Sabine Engel aus Berlin änderte sich das Leben von heute auf morgen. Nach einem Verkehrsunfall hat sie neben Gedächtnis- und Konzentrationsschwierigkeiten eine Sensibilitätsstörung und ein vermindertes Schmerzgefühl mit orthopädischen Folgeproblemen. Zwei Hirnnerven zur Steuerung der Augenmuskeln sind gelähmt, außerdem ist ihr Gehör beeinträchtigt. "Ich habe mich von meinen beruflichen Plänen zunächst komplett verabschieden müssen", sagt die heute 32jährige. Über einen stundenweisen Wiedereinstieg gelingt es ihr langsam, beruflich wieder Fuß zu fassen. Sie wagt den Wiedereinstieg als Wirtschaftsprüfungs- und Steuerberatungsassistentin. Für sie ist es eine zweite Chance, dass sie nach langer Zeit wieder arbeitsfähig ist. "Ich teste aus, was ich noch kann", sagt sie. Der Unfall war für sie aber nicht nur ein Schock. Er hat sie wachgerüttelt. In ihrem Gesicht ist Lebensfreude, denn sie hat wieder den Glauben an sich gefunden. Aber der Alltag fordert sie. Weil man ihr die Behinderungen nicht ansieht, kommt es zu Missverständnissen. "Menschen haben meist eine falsche Vorstellung von mir und meinen Einschränkungen und reagieren irritiert, wenn ich gewisse Sachen nicht machen kann", stellt die Berlinerin klar.
So wie ihr geht es vielen Patienten mit einer Hirnverletzung. Die kognitiven Probleme sind für das Gegenüber nicht sichtbar. Aufklärung ist deshalb unerlässlich. Helga Lüngen weiß als Geschäftsführerin der ZNS - Hannelore Kohl Stiftung um die Herausforderungen für die Patienten: "Es gibt noch viel zu wenig Angebote für eine sinnvolle Wiedereingliederung. Viele Betroffene erfahren keine adäquaten Hilfen. Man setzt ihre Verletzung gleich mit einer geistigen Behinderung." Die ZNS - Hannelore Kohl Stiftung sieht ihre Rolle darin, den Unfallopfern und ihren Angehörigen in der schweren Situation eine Orientierung zu geben. Durch ein bundesweites Netzwerk fördert sie vor allem den Kontakt unter den Patienten und ihren Familien. Viele fühlen sich einsam und unverstanden. In der Gruppe können Erfahrungen ausgetauscht und neue Perspektiven entwickelt werden.
Erlebniswochenenden für einen aktiven Wiedereinstieg in den Alltag
Ein besonderes Angebot sind die Erlebniswochenenden, die die Stiftung gemeinsam mit ihren Partnern bundesweit veranstaltet. Beratung, Aufklärung aber auch Aktivitäten und Aufbau von neuen Kontakten stehen hier im Mittelpunkt. An diesen Wochenenden bietet die Stiftung auch neue Bewegungs- und Therapieangebote, die den Patienten neue Impulse und Ideen für ein aktives Leben geben. Die Erlebniswochenenden können wichtige Entwicklungs- und Veränderungsprozesse bei den Verletzten und ihren Angehörigen auslösen. "Für die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ist es oft das erste Mal, dass sie sich nach einem traumatischen Erlebnis in einer größeren Gruppe bewegen und mitteilen. Deshalb bieten wir auch Folgetermine an, damit aufgebaute Kontakte und gemachte Erfahrungen erweitert werden können", erklärt die Geschäftsführerin. Mit den Erlebniswochenenden reist die Stiftung durch ganz Deutschland. Damit erhalten Teilnehmer auch wohnortnahe neue Kontakte.
Im August trafen sich im Rahmen eines derartigen Wochenendangebots 34 schädelhirnverletzte Menschen im Alter von 18 bis 39 Jahren auf der Anlage des Pferdesport- und Reittherapie-Zentrum (PRZ) der Gold-Kraemer-Stiftung in Frechen bei Köln. Die dortigen Schulpferde und drei qualifizierte Reittherapeutinnen und weitere Helferinnen standen einer Gruppe von 16 Teilnehmern einen ganzen Nachmittag zur Verfügung. Die Angebote auf dem Pferd boten die Möglichkeit, den eigenen Körper - trotz der zum Teil erheblichen Einschränkungen und Behinderungen - wieder positiv zu erleben und neue Erfahrungen zu machen. Die zweite Gruppe konnte sich alternativ im Bogenschießen erproben. Sabine Engel hat an diesem Tag zunächst das Bogenschießen gewählt. Zum Ende des Tages nutzte sie das reittherapeutische Angebot auf dem Wallach Ben; nach mehr als 20 Jahren saß sie damit das erste Mal wieder auf einem Pferderücken. Und tatsächlich, binnen Minuten baute sich eine Nähe auf, die den therapeutischen Ansatz eindrucksvoll bestätigte. "Unsere Therapiepferde sind genau für diesen Moment ausgebildet worden. Sich auf den Menschen einlassen und mit Zeit und Ruhe in eine Kommunikation eintreten. Dadurch kann Vertrauen aufgebaut werden", erklärt Désirée Frerich, Trainerin für inklusiven Pferdesport und Reittherapie im PRZ.
Für die Gold-Kraemer-Stiftung sind derartige kooperative Veranstaltungen von großer Bedeutung. "Wir freuen uns, Rahmenbedingungen geschaffen zu haben, die es Partnern wie der ZNS - Hannelore Kohl Stiftung ermöglicht, für ihre Zielgruppe passende Angebote zu realisieren. Wir wollen diese Partnerschaft noch intensivieren" resümiert Dr. Volker Anneken, Sport- und Rehabilitationswissenschaftler und zuständiger Geschäftsführer bei der Gold-Kraemer-Stiftung.
Wichtiger Partner der ZNS - Hannelore Kohl Stiftung ist die Deutsche Gesetzliche Unfallversicherung (DGUV). Gemeinsam haben beide Organisationen Hilfeangebote, wie die Seminarwochenenden für Betroffene und Angehörige entwickelt. Dabei haben sie auch auf das Erfahrungswissen der Berufsgenossenschaften und Unfallkassen bei der Versorgung nach Arbeitsunfällen zurückgegriffen. "Die gesetzliche Unfallversicherung sorgt umfassend für ihre Versicherten. Sie kümmert sich nicht nur um die Heilbehandlung, sondern steuert auch die berufliche und soziale Rehabilitation." Daher fordert Lüngen vom Gesetzgeber nach dem Klinikaufenthalt "für alle einen schnelleren und direkten Anschluss an eine den Beeinträchtigungen des Betroffenen auch zeitlich angepasste Rehabilitationsmaßnahme, als Voraussetzung für eine erfolgreiche Wiedereingliederung, so wie es die Unfallversicherung erfolgreich praktiziert." Zu häufig, so Lüngen, sei Reha noch eindimensional angelegt: "Es fehlt nach der Reha die Begleitung zurück in die Gesellschaft." Hier könne vor allem der Sport ein wichtiges Instrument sein.
Pressekontakt:
ZNS - Hannelore Kohl Stiftung
Helga Lüngen, Tel. 0172 - 6050441, presse@hannelore-kohl-stiftung.de
Gold-Kraemer-Stiftung
Peter Worms, Tel. 0160 - 5366741,
peter.worms@gold-kraemer-stiftung.de
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