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WAZ: Schäubles Anti-Terror-Vorschläge: Der Rechtsstaat setzt die Grenzen - Leitartikel von Angela Gareis
Essen (ots)
In der Analyse hat Wolfgang Schäuble Recht. Die alten Kategorien des Rechtsstaats taugen nicht, um sich gegen islamistische Terroristen so zu verteidigen, dass ihnen das Morden gar nicht erst gelingt.
Aber der Rechtsstaat ist in dem Bewusstsein errungen worden, dass ein Gesetz des Lebens ebenfalls gilt: Grob vereinfacht wird der wertgebundene Mensch dem skrupellosen Mörder im Ernstfall immer unterlegen sein, schlicht weil er Skrupel empfindet. Wenn ein Mensch einen anderen heimtückisch umbringen will, dann wäre es für das potenzielle Opfer durchaus günstiger, den potenziellen Täter vorher erschossen zu haben. Weil aber die Heimtücke üblicherweise die letzte Gewissheit über das Attentat bis zum Attentat ausschließt, müsste das potenzielle Opfer den potenziellen Täter auf der Grundlage seines Verdachts töten, einsperren oder anderweitig unschädlich machen. Im Fall des islamistischen Terrors, dem die Heimtücke innewohnt, müsste das potenzielle Opfer Deutschland in vorsorglicher Notwehr zum Täter werden. Die Frage ist: Darf es eine präventive Notwehr geben?
Der Innenminister hat die gezielte Tötung von Terrorverdächtigen ins Gespräch gebracht und sich auf den finalen Rettungsschuss berufen, der es der Polizei erlaubt, einen Geiselnehmer zu erschießen. Der Geiselnehmer hat bereits eine Straftat begangen und droht mit dem Schlimmsten. Darf aber ein präventiver Rettungsschuss einen Verdächtigen zur Strecke bringen?
Der Innenminister redet auch über die Internierung von so genannten Gefährdern und bezieht sich auf den Unterbindungsgewahrsam für Hooligans. Diese werden für die Dauer eines Fußballspiels eingesperrt. Wann aber ist für einen Terrorverdächtigen das Spiel vorbei? Und wird man nicht beweisen müssen, dass die Haft begründet ist? In Guantánamo wird die Beweisführung mit Hilfe von Folter praktiziert.
Seine Gedanken hat Schäuble nicht als Forderungen formuliert, aber ganz sicher auch nicht bloß, um Widerspruch zu erregen. Wenn man über Videoüberwachung und Online-Durchsuchungen diskutiert, bemisst sich der Preis der Sicherheit in der Einschränkung von Freiheit. Wenn man über Töten und Internieren diskutieren will, muss man den Preis ebenfalls benennen: die Einschränkung des Wertebewusstseins, die in den USA nach dem Schock des 11. September zu beobachten war. Soll Deutschland dem Beispiel präventiv folgen, um dem Schock zu entgehen? Bisher bestand die Prävention des Rechtsstaats vor allem in der Verbreitung von Werten und Skrupeln.
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