Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Ausstieg aus dem Regionalverband Abkehr von einer liebenswerten Region - Leitartikel von Wolfgang Pott
Essen (ots)
Das Ruhrgebiet befindet sich mitten auf dem schwierigen aber hoffnungsvollen Weg der Genesung, da mucken plötzlich Politiker im Kreis Wesel und an anderen Randgebieten auf. Da schlagen die Verantwortlichen von Industrie- und Handelskammern Alarm und besinnen sich auf Stärken von Regionen jenseits des Reviers. Kontraproduktiver geht's gar nicht mehr.
Gerade jetzt, wo das wirtschaftlich fast schon ausgetrocknete Revier wieder Saft zieht, wird an der Peripherie über den Ausstieg aus dem Regionalverband Ruhrgebiet nachgedacht. Da reicht bei manch einem der Blick zurück offenbar nicht so weit. Als es noch Subventionen regnete von EU, Bund und Land, haben sich alle gern bedient, auch solche Ruhrgebietsregionen, die es nicht so nötig hatten. Jetzt will man offenbar woanders abgreifen.
Zugegeben, in Xanten, wo der CDU-Bürgermeister Christian Strunk am lautesten aufschreit, fühlen sich die meisten Bürger eher zum Niederrhein hingezogen als zum Ruhrgebiet. Die Häuser der Stadt, die Landschaft in der Umgebung, der Akzent der Bürger sind niederrheinisch geprägt. Die Politik hätte sich schon vor Jahren zu diesen Wurzeln bekennen können. Stattdessen wurde immer nur kleinlaut gegen das Ruhrgebiet gestichelt. So konkret wie jetzt waren die Abwanderungsgedanken zu keiner Zeit.
Doch sollten die Aufmüpfigen im Kreis Wesel, im Kreis Recklinghausen oder in der Stadt Hagen bedenken, dass das Ruhrgebiet noch nie eine homogene Einheit war. Schalke 04 und Borussia Dortmund, Movie World und Opernhaus, polnische und türkische Migranten - gerade das macht diese Region so interessant, so bunt, ja sogar liebenswert. Kohle und Stahl, die industrieellen Stützpfeiler des vergangenen Jahrhunderts, waren in einigen Städten gar nicht angesiedelt. Dennoch profitierten fast alle Menschen davon. Pendlerströme der Vergangenheit beweisen das.
Aktuell befindet sich das Revier im Umbruch, ein schwieriger Prozess. Doch auch dank der allgemeinen Konjunkturerholung läuft es besser als gedacht. Junge Menschen wollen hier studieren, Senioren bleiben, widerstehen finanziellen Verlockungen aus Ostdeutschland. Neue Branchen siedeln sich an und schaffen mehr und mehr Arbeitsplätze.
Das Ruhrgebiet ist auf einem guten Weg. Wer jetzt abspringt, verpasst vielleicht eine große Chance und muss sich hinterher vorwerfen lassen, mitten im Aufschwung gekniffen zu haben.
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