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WAZ: Deutsche arbeiten in Polen: Und was, wenn keiner mehr zu uns kommt? - Leitartikel von Stefan Schulte

Essen (ots)

Diese Klage kennt jeder: Auf deutschen Baustellen
wird alles gesprochen, nur kein Deutsch. Dafür wird seit einigen 
Monaten, welch Ironie, auf polnischen Baustellen deutsch gesprochen. 
Wer sich nun schüttelt und im falschen Film wähnt, dem sei zunächst 
versichert: Weder haben sich osteuropäische Arbeiter über Nacht 
kollektiv aus Deutschland verabschiedet, noch kann von einer 
Abwanderung deutscher Fachkräfte nach Polen als einem Massenphänom 
die Rede sein. Dennoch zeugt der junge, zarte Trend von einer 
erstaunlichen Bewegung auf dem europäischen Arbeitsmarkt.
Die gut ausgebildeten Polen wandern nach Irland, Großbritannien 
und Skandinavien, viele Ingenieure selbst ins bauwütige Russland aus 
und verdienen dort ein Vielfaches. Weil die Arbeit sonst liegen 
bleiben würde, müssen die polnischen Auftraggeber, sei es der Staat 
oder Privatinvestoren, höhere Preise bezahlen. Und weil gerade in 
Ostdeutschland die deutschen Löhne längst nicht mehr die höchsten 
sind, verdienen plötzlich deutsche Arbeiter und Unternehmer in Polen 
gutes Geld.
Was noch vor wenigen Jahren unvorstellbar schien, ist nun ein 
starkes Indiz dafür, dass sich die Angleichung der Lebensverhältnisse
schneller vollzieht, als sich das die meisten vorstellen konnten oder
wollten. Das kann man toll finden (neue Märkte) oder ganz schlimm 
(sind wir Deutschen die neuen Billiglöhner?). Ändern kann man es 
nicht mehr.
Das ist zwar eine banale Erkenntnis, aber längst nicht bei jedem 
angekommen. Wie sonst wäre die Phantomdebatte zu erklären, die sich 
derzeit die Großkoalitionäre in Berlin leisten? SPD und Union 
streiten über die Beschränkungen, die in Deutschland für alle Bürger 
der neuen EU-Länder noch bis 2009 gelten. Teile der SPD wollen die 
Schranken vorher abbauen, damit mehr Fachkräfte nach Deutschland 
kommen. Unions-Fraktionschef Kauder will das Land sogar bis 2011 vor 
Billiglöhnern abschotten.
Und was, wenn gar keiner kommt? Abgesehen davon, dass Kauder 
bewusst und populistisch alte Überfremdungs-Ängste schürt, gehen 
beide Vorstellungen an der Realität vorbei. Weil es anderswo mehr zu 
verdienen gibt, wird eine Öffnung weder Fachkräfte noch Billiglöhner 
in Scharen anlocken. Worüber nachzudenken mehr lohnte, wäre deshalb, 
warum andere Länder längst attraktiver sind als Deutschland. Wer vom 
europäischen Binnenmarkt profitieren will, muss sich ihm auch öffnen.
Großbritannien und Irland haben es als erste getan.

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Telefon: (0201) 804-8975
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