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WAZ: Leitlinien in Buchform: Demutsaustreibung in der SPD - Leitartikel von Angela Gareis

Essen (ots)

Lange Zeit haben viele Sozialdemokraten die Höhe der
Zeit lieber von unten betrachtet. Sehr unsicher folgten sie Gerhard 
Schröder auf seinem Modernisierungsweg, erlebten schwindelnd die 
Fallhöhe der Reformpolitik und begaben sich Entschuldigungen murmelnd
auf ihre alten, schwindelfreien Positionen zurück. Die Umfragewerte 
sind ihnen bergab gefolgt. Drei Männer, die eine gewisse Parteiferne 
auszeichnet, wollen die Sozialdemokraten zu einem neuen Aufstieg 
bewegen. "Auf der Höhe der Zeit" heißt ein Buch, das Matthias 
Platzeck (früher Vorsitzender), Peer Steinbrück (Stellvertreter) und 
Frank-Walter Steinmeier (bald Stellvertreter) herausgeben. In einer 
Einleitung holen sie nach, was Schröder und die Partei im Zuge der 
Agenda 2010 versäumt haben. Sie begründen und erläutern den Prozess 
der Selbsterneuerung.
Die Rückbesinnung auf die Anfänge der sozialen Demokraten 
zwischen Marxisten und Wirtschaftsliberalen führt die Verfasser zur 
Agenda 2010, die sie gewissermaßen als ursozialdemokratische Politik 
mit modernen Mitteln bewerten. Sie sprechen vom überkommenen 
Sozialstaat, der zu oft bloß reparierend eingreife und fordern den 
Paradigmenwechsel zum vorsorgenden Sozialstaat, der Menschen in die 
Lage versetze, ihr Leben aus eigener Kraft zu leben. Sie mahnen die 
Hinwendung zur breiten Mitte und Verantwortung nicht nur für die 
Verteilung von Wohlstand, sondern auch für die Wertschöpfung an.
Der Aufsatz ist relativ mutig und wird bis zum Parteitag Ende 
Oktober noch einige Aufregung produzieren. Trotzdem ist der Zeitpunkt
so günstig wie lange nicht, weil die SPD nach Rente mit 67 und 
Unternehmenssteuerreform jetzt mit Mindestlohn und freiwilligem 
Wehrdienst wieder als links empfundene Ziele vorgibt. In der leicht 
ausbalancierten Stimmung trifft es die Genossen eventuell nicht so 
hart, wenn die drei Schröderianer vor Kleinmut, Konservatismus und 
störrischem Beharren warnen. Steinbrück hat sogar den Vorwurf, die 
SPD wirke wie eine Heulsuse, dem Anschein nach unversehrt 
überstanden. Und außerdem wird beim Parteitag Schröder auftreten und 
sicherlich keine Entschuldigungen für seine Politik vortragen, 
weshalb es Sinn macht, der Partei die unangebrachte Demut noch vorher
auszutreiben.
Der Titel des Buches bezieht sich auf Willy Brandt, der gesagt 
hat, dass man auf der Höhe der Zeit zu sein habe, wenn Gutes bewirkt 
werden solle. Brandt plus Schröder plus Schröder mal drei - in der 
Summe könnte die SPD sich auf ihre Stärken besinnen.

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Telefon: (0201) 804-8975
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