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WAZ: Streit in der Koalition: Durchbruch für die Kanzlerin - Leitartikel von Angela Gareis

Essen (ots)

Über die Höhe von existenzsichernden Löhnen ist
lange diskutiert worden, über den politischen Höchstpreis für den 
Mindestlohn nicht. Als Franz Müntefering sich im Sommer von Angela 
Merkel beim allgemeinen Mindestlohn zum ersten Mal getäuscht fühlte, 
gab er eine Aufsehen erregende Pressekonferenz. Der Vizekanzler 
sprach gegenüber der Kanzlerin zwar nicht von Misstrauen, aber sehr 
deutlich nicht mehr von Vertrauen. Er kämpfte mit einiger Wut für 
sein Projekt, das wie kein anderes zurzeit sozialdemokratische 
Identität zu stiften vermag.
Auf ihrem Parteitag haben die Sozialdemokraten den Mindestlohn 
für die Post zur Bewährungsprobe für die Große Koalition erhoben und 
eine rote Linie um ihn gezogen. Diesmal sahen sie Merkel fest im 
Wort, und als die Kanzlerin ablehnte, wurde der Begriff "Wortbruch" 
verwendet. Am Tag nach dem Koalitionsausschuss hat die Partei ihren 
Vizekanzler und Arbeitsminister aus privaten Gründen verloren. 
Niemand will mehr wissen, wer "Wortbruch" ausgesprochen hat 
(wahrscheinlich Kurt Beck), und Generalsekretär Hubertus Heil 
formuliert in sehr kleinen Buchstaben: "Beim Postmindestlohn gab es, 
ganz offen gesagt, keinen Durchbruch."
Es hat einen Durchbruch gegeben, für Merkel. Mit dem schlichten 
Kalkül, dass die SPD den Bruch und Neuwahlen noch mehr fürchtet als 
die Union, hat die Kanzlerin kühl demonstriert, was passiert, wenn es
zur Bewährungsprobe kommt: Verschämt wischt die SPD ihre rote Linie 
weg. Weil den Sozialdemokraten das unangenehm bewusst ist, gehen sie,
geht der Generalsekretär von den kleinen Buchstaben zu großen über 
und spricht von "Sauerei" und "Unzuverlässigkeit der Kanzlerin", was 
böse klingt, sich aber absichtsvoll in den Fesseln der Koalition 
bewegt, die zu sprengen die SPD nicht bereit wäre.
Weil man nun fest annehmen muss, dass diese Koalition aus Angst 
vor den Wählern beisammen bleiben wird, und weil es den Koalitionären
an größeren Vorhaben und Willen zur Gemeinsamkeit mangelt, ahnt man 
auch, was auf die Republik zukommt: Streit. Der Wahlkampf 2009 hat 
begonnen und wird sich im Zuge der kommenden Landtagswahlen erhitzen.
Bei allen Schwierigkeiten, die man einer Schicksalsgemeinschaft 
zubilligen muss, naht unter Umständen der Zeitpunkt, an dem sich die 
Frage der Legitimation stellt. Ist die Große Koalition auch dann noch
durch Wähler legitimiert, wenn sie das tut, was die Mehrheit der 
Wähler nicht wollte? Streiten, verunsichern, Nerven zersägen.

Pressekontakt:

Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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