Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Merkel hat das Macht-Gen - Leitartikel von Ulrich Reitz
Essen (ots)
Wenn es der CDU so gut geht wie lange nicht mehr, dann hat das vor allem mit Angela Merkel zu tun. Die Kanzlerin ist beliebt im Volk, regiert die Große Koalition unangefochten und führt die CDU völlig unbedrängt von einem Rivalen.
Woran das liegt? Zuallererst an ihrem Gespür für das Machbare. Merkel hat von Konrad Adenauer und Helmut Kohl das Macht-Gen geerbt. Die Regierung führt Merkel fast schon präsidial. Und nichts zeigt dies so eindeutig wie der Vorwurf der SPD, die Kanzlerin kümmere sich nur noch um die Außenpolitik, scheue die Mühen der Ebene. Merkels Stil ist lange nicht so Verschleiß-anfällig wie der ihres Vorgängers; wer ständig Basta sagen muss, den nimmt man irgendwann nicht mehr für voll. Sie weiß, was sie ihrer eigenen Partei und der SPD zumuten kann und regiert folglich in kleinen Schritten. Diese Mischung aus tasten und beherzt die Möglichkeiten nutzen, die sich ihr bieten, entspricht Merkels naturwissenschaftlichem Naturell. Als Regentin ist Merkel mit sich im Reinen.
In der Union gibt es niemanden, der Merkel den Parteivorsitz streitig machen könnte. Nicht der Hesse Koch, nicht der Niedersachse Wulff, nicht der Nordrhein-Westfale Rüttgers. Dies ist umso bemerkenswerter, als Merkel mit der Großen Koalition einer Regierung vorsteht, welche die Union nicht wollte. Obwohl Unions-Leute ihr genau dies vorwerfen und sich gegen sie profilieren könnten, tun sie es nicht.
Das alles gilt unabhängig von den Ergebnissen Merkelschen Regierens. Wobei ihr Satz, der Aufschwung sei bei den Menschen angekommen, nur dann halbwegs tolerierbar ist, wenn er den Rückgang der Arbeitslosigkeit um eine Million meint. Die Einkommen der Beschäftigten können kaum gemeint sein; sie stagnieren seit Jahren.
Zwar ist die Union aus dem inneren Gleichgewicht geraten: Konservative und Liberale sind in die Minderheit geraten; auch deshalb, weil diesen Flügeln Repräsentanten von Gewicht fehlen. Aber Merkel kann, wenn es wegen der flächendeckenden Einführung von Mindestlöhnen zu Diskussionen auf dem Parteitag in Hannover kommt, darauf verweisen, dass dies der Preis sei fürs Regieren mit der SPD. Sozial, ökologisch, modern in Familienfragen, ethische Außenpolitik: Die Union ist stark, weil sie ein modernisiertes bürgerliches Lager verkörpert. Die SPD mag sich damit trösten, dass es mit Stimmungen ist wie mit dem Wetter: Auf Regen folgt Sonne.
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