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WAZ: Muslime in Deutschland - Schock oder Chance - Leitartikel von Christopher Onkelbach
Essen (ots)
Die Studie des Innenministers kann erschrecken: Fast die Hälfte aller in Deutschland lebenden Muslime sind demnach fundamental orientiert, jeder siebte Islam-Gläubige hat Probleme mit dem Rechts-staat und der Demokratie. Diese Ergebnisse legen die Schlussfolgerung nahe: Muslim gleich Bedrohung. Worauf Abwehr die spontan richtige Reaktion zu sein scheint.
Doch bei genauerer Betrachtung muss sich eine andere Reaktion einstellen. Erst vor wenigen Tagen stellte die CDU-Staatsministerin für Integration, Maria Böhmer, eine Studie vor, die man so zusammenfassen darf: Deutschland gibt Zuwanderern kaum noch Chancen. Die Lage der 15 Millionen Menschen aus Einwandererfamilien ist deprimierend: 18 Prozent der Kinder brechen die Schule vorzeitig ab. Nur 23 Prozent absolvieren eine Berufsausbildung - bei den Deutschen sind es 57 Prozent. Etwa 40 Prozent der Migranten haben keinen Berufsabschluss. Bei den in Deutschland lebenden Migranten aus der Türkei sind es danach sogar 72 Prozent. Damit ist das Risiko für diese Menschen, arbeitslos zu sein, doppelt so hoch wie für Deutsche. Genau hier liegt das Integrationsproblem.
Man frage einmal bei einer vergleichbaren Gruppe von Deutschen nach - sozial abgehängt, arbeitslos und frustriert -, wie sie es mit dem Rechtsstaat und der Demokratie halten. Die Zahl derer, die damit kaum noch etwas anfangen können, dürfte nicht geringer sein. Soziologen weisen darauf hin, dass demokratiefeindliche Einstellungen bei nicht-muslimischen Deutschen ebenso häufig anzutreffen seien.
Wenn sich Jugendliche, die in dritter Generation in Deutschland leben, immer noch als Ausländer betrachtet und diskriminiert sehen, ziehen sie sich in ihre ethnische Gemeinschaft oder in die Religion zurück. Ein ähnliches Phänomen lässt sich bei deutschen Jugendlichen beobachten, die sich sozial ausgegrenzt fühlen. Sie ziehen sich nur in andere Milieus zurück.
Damit soll nichts relativiert werden. Vor allem der wachsende Fundamentalismus und die Gewaltbereitschaft einiger Muslime muss Anlass zur Sorge bleiben. Integration kann nur gelingen, wenn die Grundwerte der Gesellschaft, in der man lebt, akzeptiert werden. Die miserablen Zukunftsaussichten junger Migranten zeigen indes, dass wir Integration vor allem als Bildungsherausforderung begreifen müssen. Jugendliche, ob deutsch oder nicht, entwickeln eine andere Einstellung zur Gemeinschaft, wenn sie eine Chance erhalten, eine Perspektive sehen. Und das ist aller Mühen wert.
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