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WAZ: Regierungsbildung in Hessen: Die Geisterfahrt nach links beginnt - Leitartikel von Norbert Robers

Essen (ots)

Die Geisterfahrt nach links kann beginnen: Die
hessische SPD-Landeschefin Andrea Ypsilanti strebt die Bildung einer 
rot-grünen Minderheitsregierung an, mitgewählt und toleriert von der 
Linkspartei. Man könnte nach diesem Beschluss erneut stundenlang 
darüber diskutieren, wie es zu dieser verfahrenen Situation kam, ob 
sich die FDP nicht bewegen müsste, und welchen Beitrag 
CDU-Ministerpräsident Roland Koch zu einer anderen Lösung beitragen 
könnte. Am Ende dieser Debatte stünde eine ganze Reihe interessanter 
Spekulationen und Mutmaßungen - Fakt ist dagegen nur eines: Andrea 
Ypsilanti hält sich nicht an ihr Versprechen, die Linken zu 
ignorieren, sie betrügt die Wähler.
Dabei ist Andrea Ypsilanti zugleich Opfer und Täterin. Opfer, 
weil sie die erste SPD-Funktionärin ist, die die Freigabe von 
Parteichef Beck, die einst errichtete Brandmauer gegenüber der Linken
wieder einreißen zu dürfen, in praktische Politik umsetzen muss. Sie 
ist aber auch Täterin, weil sie erstens ihren Machtanspruch höher als
ihre Zusage bewertet. Zweitens schließt sie eine Große Koalition, mit
oder ohne Koch, kategorisch aus - sie verhält sich damit genauso so 
störrisch, wie sie es den Liberalen vorwirft. Unabhängig vom Ausgang 
der Koalitionsverhandlungen mit den Grünen und der 
Ministerpräsidenten-Wahl am 5. April: Die Wähler können Andrea 
Ypsilanti nicht mehr trauen, nicht mehr der SPD - und viele werden 
sich von der Politik insgesamt abwenden. Andrea Ypsilantis Wortbruch 
ist keine Privat- oder Partei-Angelegenheit. Öffentliche 
Verantwortung sieht anders aus.
Eine Minderheitenregierung wäre der größte anzunehmende Unfall 
für die SPD und für Hessen. Vom ersten Tag an gäbe es ein Gezerre um 
einzelne Stimmen, jedem Gesetzesvorschlag würde ein elendes 
Geschacher vorausgehen - eine Art täglicher Wahlkampf. Andrea 
Ypsilanti müsste mal rechts, mal links und mal in der Mitte um 
Stimmen betteln. Gerade sie, auf deren Zusagen offenbar kein Verlass 
ist. Die Hessen müssten sich auf eine quälende Regierungszeit ohne 
stabile Mehrheiten einstellen.
Es ist allerdings keineswegs ausgeschlossen, dass Andrea 
Ypsilanti auch deshalb in die Offensive gegangen ist, weil sie 
gemerkt hat, dass ihre Überredungsversuche in Richtung FDP nicht 
gefruchtet haben. Denn nicht nur innerhalb der SPD steigt jetzt der 
Spannungs-Druck - auch die anderen Parteien wissen, dass die 
Lösungs-Uhr abläuft. CDU, SPD, FDP und Grüne haben noch vier Wochen 
Zeit, ihre Wagenburgen zu verlassen. Das politische Chaos in Hessen 
ist vermeidbar.

Pressekontakt:

Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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