Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Neues Stammzellgesetz - Es gibt keine Lösung - Leitartikel von Christopher Onkelbach
Essen (ots)
Worum geht es heute im Bundestag? Wieso wird so erbittert gestritten? Man könnte die endlose Stammzelldebatte als Lehrstück für gelungene Wissenschafts-PR ansehen, der es gelingt, auf Kosten anderer Disziplinen die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit auf sich zu ziehen. Das wäre nicht falsch, griffe jedoch zu kurz.
Um embryonale Stammzellen vom Menschen dreht sich die Welt der Biomedizin, seit es dem Amerikaner James Thomson 1998 erstmals gelang, sie im Labor zu vermehren. Thomson legte der Wissenschaft ein machtvolles Instrument in die Hände, um künstliches Körpergewebe zu züchten. Seither träumen die Forscher davon, diese Embryozellen in jede gewünschte andere Zellart zu verwandeln, um Ersatzgewebe zur Behandlung vieler Krankheiten herzustellen. Eine Realisierung dieser Vision steht allerdings noch in den Sternen. Zeitgleich begann ein heftiger Grundsatzkonflikt, denn Embryonen sterben bei der Entnahme der Stammzellen: Dürfen menschliche Embryonen der Forschung als Material dienen? Handelt es sich bei den wenige Tage alten Zellklümpchen überhaupt um Wesen, die unter dem Schutz der Menschenwürde stehen? Nicht weniger als die Definition des Menschseins stand und steht zur Debatte.
Mit dem Stammzellgesetz von 2002 fand der Bundestag einen Kompromiss: Die Vernichtung von Embryonen bleibt verboten, doch Zellen, die bereits im Ausland bestehen, dürfen importiert werden. Der Stichtag 1. Januar 2002 sollte gewährleisten, dass im Ausland nicht fortgesetzt Embryonen für die deutsche Forschung vernichtet werden. Die Regelung ist zwar ethisch inkonsequent, befriedete aber die Fronten.
Das hielt nur sechs Jahre. Die Forschung fordert Zugriff auf neue Zellen, um Fortschritte zu erzielen und im internationalen Wettbewerb nicht an Boden zu verlieren. Und wieder geht es um die geschilderten Grundfragen. Die Lösung des Unlösbaren könnte in einer Neuauflage des bewährten Kompromisses liegen - einem Stichtag, verschoben auf das Jahr 2007. Dies würde den Wissenschaftlern Zugang zu hunderten frischen Stammzelllinien gewähren.
Zwar wäre diese Lösung erneut nicht ideal, weil es dabei kaum bleiben wird. Forscher werden wieder neue Zellen fordern. So besteht die Gefahr, dass das Stammzellgesetz zur "ethischen Wanderdüne" verkommt. Dennoch ist sie vertretbar, weil die Kontrolle der Forschung beim Parlament verbleibt. Denn die Balance zwischen Forschungsfreiheit und Lebensschutz kann nicht Wissenschaftlern überlassen werden.
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