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WAZ: Die Gewerkschaften und 1. Mai - Auf dem Weg aus der Krise. Leitartikel von Ulrich Horn

Essen (ots)

Die Gewerkschaften werden an diesem 1. Mai
selbstbewusster auftreten als in den vergangenen Jahren. Nach langer 
Selbstbescheidung, die durch die Wirtschaftsflaute erzwungen wurde, 
konnten sie in jüngster Zeit passable Tarifabschlüsse durchsetzen. 
Die IG Metall in NRW hat den Mitgliederschwund gestoppt, Verdi 
registriert Zulauf.
Obendrein ist es den Gewerkschaften gelungen, ihre Themen ins 
Zentrum der öffentlichen Diskussion zu rücken. Mindestlohn und 
Leiharbeit, die Kluft zwischen Armen und Wohlhabenden prägten in den 
vergangenen Monaten die politische Debatte. Diese Themen werden auch 
in den nächsten Monaten eine wichtige Rolle spielen. Es scheint so, 
als seien die Gewerkschaften auf dem besten Wege, sich aus der Krise 
herauszuarbeiten, in die sie Mitte der 90er-Jahre geraten waren.
Tatsächlich schleppen sie Probleme mit sich herum, die seit 
Jahrzehnten auf Lösungen warten. Bis heute gelang ihnen nicht, mit 
dem rasanten Wandel der Wirtschaftsstrukturen Schritt zu halten. Nach
wie vor haben sie Schwierigkeiten, in den wachsenden 
Dienstleistungsbranchen und in mittelständischen Betrieben Mitglieder
zu gewinnen. Immer noch fällt es ihnen schwer, sich auf die 
Bedürfnisse von Hochqualifizierten, Frauen und Jugendlichen 
einzustellen. Dass immer mehr Beschäftigte in Unternehmen ohne 
Tarifbindung arbeiten, schwächt die Gewerkschaften ebenfalls. Selbst 
der demografische Wandel wird für sie zum Problem. Mit der 
rückläufigen Zahl junger Leute wird sich in den nächsten Jahren die 
Zahl möglicher Beitragszahler verringern, sorgt sich IG Metall-Chef 
Berthold Huber.
Seit den 90er-Jahren verloren die Gewerkschaften Millionen 
Mitglieder. Der finanzielle Druck zwang zu Fusionen. Neben den großen
Gewerkschaften entstanden kleine wie die Ärzte-Gewerkschaft Marburger
Bund oder die Lokführer-Gewerkschaft, die sich als sehr erfolgreich 
erwiesen. Inzwischen sorgen sich die Großen, die 
Gewerkschaftsbewegung könnte atomisiert werden. Unübersehbar ist 
auch, dass die Gewerkschaften politischen Einfluss verloren haben. Zu
oft beschränkten sie sich auf politische Deklamationen und sperrten 
sich gegen Reformen, statt sie mitzugestalten. Die Probleme sind 
erkannt. Hier und da wird an Lösungen gearbeitet. Die IG Metall und 
selbst Teile von Verdi rücken die Mitglieder in den Betrieben ins 
Zentrum ihrer Bemühungen. Ob das flächendeckend gelingt, ist 
allerdings noch längst nicht sicher.

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Telefon: 0201 / 804-2727
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