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WAZ: Was Sonntag wird, das bleibt - Kopf & Bauch & Fanmeile. Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Party? Ist Party etwa schlecht? Die Deutschen
wollten halt vor allem feiern, wird jenen herablassend 
entgegengehalten, die hinter dem ausgelassenen, kollektiven 
Fußball-Gejubel mehr vermuten als die Bereitschaft zu öffentlicher 
Ausgelassenheit. Was solche Nörgler ausblenden, ist: Auch Feiern ist 
eine bewusste Entscheidung. Das gilt erst recht für dessen 
öffentliche, ausgelassene Spielart. Und es zählt noch mehr, wenn 
dabei die Regeln herkömmlicher
 Kleiderordnung verlassen werden und eigentlich doch ganz normale 
Menschen, Anwältinnen, Frisöre und IT-Techniker, mit der 
aufgeschminkten deutschen Fahne auf den Wangen herumlaufen oder 
-toben. Öffentliches Feiern ist ein Statement, mehr noch: eine 
Demonstration.
Wofür? Für das Recht auf Emotionalität. Für die Lust an der 
Gemeinsamkeit. Für die Freude an der deutschen Hymne, der deutschen 
Fahne, dem deutschen Tor.
Das Recht auf öffentlich ausgelebte Emotionalität ist keine 
Selbstverständlichkeit. Es muss(te) durchgesetzt werden gegen jene, 
die in kopfgesteuerter Beherrschtheit die höchste Form zivilisierter 
Existenz sehen. Die Lust an der Gemeinsamkeit ist ein Dementi: 
Zurückgewiesen wird damit die bislang unkritisch geglaubte These, die
Deutschen entwickelten sich zu einem Volk aus lauter Einzelgängern. 
Wenn es diese Individualisierung tatsächlich gibt, dann ist die 
Fanmeile beim Public Viewing der Wunsch, vielleicht die Sehnsucht 
oder einfach auch nur die Tatsache des Gegenteils davon.
 Jeder sucht sich selbst und entdeckt dabei den Anderen; und freut 
sich daran. Und die Freude dieser 20-, 30- und 40-Jährigen an den 
deutschen Farben ist tatsächlich nichts weniger als ein 
Schluss-Strich.
Nicht unter die schreckliche deutsche Zeit. Aber unter eine - Ära
wäre zu viel, Periode vielleicht - Zeit jedenfalls der deutschen 
Selbstvergessenheit, bisweilen sogar des lustvollen Selbsthasses. 
Diese Zeit verbindet sich besonders mit der Chiffre 68, und darum ist
es gewiss kein Zufall, wenn man so wenige Menschen in diesem Alter 
sieht, die Schwarz-Rot-Gold schwenken.
Alles, was einmal war, bleibt. Nichts wird vergessen. Also auch 
nicht diese Party. Sie ist viel mehr als bloßes Feiern: eine 
Demonstration für das Recht darauf. Diese Party ist das Zeichen einer
neuen Zeit. Eine Epoche, in der eine neue Generation für
 jedermann sichtbar offenbart, dass es nicht nur eine Last, sondern 
auch eine Freude sein kann, sich selbst, seiner nationalen Herkunft 
gewiss, eine multikulturelle, globalisierte Existenz zu leben.

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
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