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WAZ: Schadenersatzforderung - Siemens als Musterbeispiel - Leitartikel von Thomas Wels

Essen (ots)

Alle Achtung: Die Härte, mit der
Siemens-Aufsichtratschef Gerhard Cromme gegen die Ex-Kollegen aus der
Top-Etage des Münchener Konzerns vorgeht, ist mehr als beeindruckend.
Cromme und die anderen Aufsichtsräte setzen mit dieser Entscheidung 
Maßstäbe, die für die bisherige Klüngel-Ökonomie in allzu vielen 
Konzernen eine Zäsur bedeuten könnte und damit - sollte Siemens 
Schule machen - ein enormes Verdienst für den Standort D.
Die Signale der Schadenersatzforderungen lauten: Erstens ist es 
vorbei mit der unseligen Enthaftung, wonach ein angestellter Manager 
das vielhundertfache eines durchschnittlichen Arbeitnehmers verdient,
bei Fehlverhalten dennoch mit zig Millionen, Fahrer und Büro bedacht 
wird. Und zweitens findet die nicht minder fragwürdige Praxis ein 
Ende, wonach Manager sich in einer Art Korpsgeist verbrüdern und 
unbeschadet lassen, unabhängig davon, ob sie als Aufsichtsrat 
kontrollieren oder als Vorstand führen sollen.
Beides zusammengenommen ist zu einem wesentlichen Teil dafür 
verantwortlich, dass die soziale Marktwirtschaft in Deutschland 
schwer an Reputation eingebüßt hat: Siemens-Manager, die unter der 
Ägide von Aufsichtsratchef von Pierer 30 Prozent mehr Gehalt bekommen
sollten während im früheren Siemens-Handywerk in Kamp-Lintfort 
Tausende ihren Arbeitsplatz verloren - solche Beispiele sind es, die 
die Entfremdung von unserer Wirtschaftsordnung ausmachen: weil nie 
diejenigen, die die Entscheidungen treffen, von den Folgen der 
Entscheidungen betroffen sind, sondern die anderen.
Wenn es Cromme, der als Vorsitzender der Kommission zur 
transparenten Unternehmensführung einiges zur Hygiene in 
börsennotierten Konzernen beigetragen hat, gelingt, mit Siemens ein 
Muster zu zeichnen, hätten alle gewonnen: der Münchener Konzern, der 
Verantwortlichkeit nachweisbar ernst nimmt, und die Gesellschaft, die
ein wirklichkeitsnäheres Bild vom Unternehmertum bekommt. Denn das 
spielt sich nur am Rande in glitzernden Hochhausfassaden der 
Dax-Konzerne ab: 99 von 100 Unternehmen in Deutschland sind klein und
mittelgroß, 90 Prozent davon befinden sich in Familienbesitz. Der 
vollhaftende Gesellschafter steht mit Haus und Hof für sein Tun 
gerade. Umso seltsamer mutete auch die Diskussion um einen 
Bundespräsidenten Heinrich von Pierer an: nicht wegen etwaiger 
Verfehlungen, sondern weil ein Chef eines Konzerns, der 83 Prozent im
Ausland umsetzt, mit Deutschland und seinen Problemen ebenfalls nur 
am Rande zu tun hat.

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Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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