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WAZ: Die SPD und ihr Kandidat - Frank-Walter Steinmeier - Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Außenminister sind keine Rummelboxer. Außenminister
sind auch keine Visionäre. Außenminister, das sind Handwerker. 
Außenminister sind die Tischler der Weltinnenpolitik. Außenminister 
ist Frank-Walter Steinmeier seit drei Jahren. Er ist ein guter 
Außenminister. Frank Walter-Steinmeier ist der Sohn eines Tischlers.
Tischler haben die Füße auf dem Boden, genau wie die Werkstücke, 
die sie herstellen. Industrie-Manager, das ist eine Luft- und 
Lounge-Elite. Handwerker dagegen heben nicht ab, sie stehen im Leben 
und sehen, was sie jeden Tag machen. Ländliche Handwerkerfamilien 
sind meistens eine stabile Angelegenheit. Ihre Kinder erziehen sie in
großer Geborgenheit. Aus einer solchen Familie stammt Frank-Walter 
Steinmeier.
Gerhard Schröder entstammt dem Proletariat, dem 
"Lumpenproletariat", schreibt der Spiegel. Er hat sich nach oben 
gekämpft - rabiat, rücksichtslos. Am Zaun des Kanzleramts hat 
Steinmeier nie gerüttelt. So etwas hält er für ungehörig. Steinmeier 
ist bürgerlich dezent, viel mehr ein Lipper als Schröder, der auch 
von dort kommt. Lipper machen nicht viele Worte, wenig Aufhebens um 
sich selbst, und sind verlässlich. Schröders langjähriger Diener ist 
in vielem Schröders Gegenteil.
Die SPD hat eine Vision. Sie glaubt an eine bessere Welt. Und sie
glaubt, dass es menschenmöglich ist, eine bessere Welt herzustellen. 
Die SPD ist eine romantische Partei. Frank-Walter Steinmeier hat 
keine Vision. Er ist, wie Helmut Schmidt, kein Romantiker. Große 
Würfe lehnt er darum ab. Er ist ein nachdenklicher Skeptiker. Ein 
Rückversicherer. Der Kanzlerkandidat der SPD ist in vielem das 
Gegenteil der SPD.
Auch die Hartz-Gesetze sind nicht romantisch. Sie wurden aus der 
Not geboren. Sie sind eine Kopfgeburt von Bürokraten. Schlecht 
erklärt wurden sie erst hinterher. Die SPD und die Hartz-Gesetze, das
sind zwei Welten. Nun macht sich die SPD ausgerechnet den Architekten
der Hartz-Gesetze zu ihrem Hoffnungsträger. Auch der sympathische 
Steinmeier ist aus der Not geboren.
Steinmeier kommt, die Lage bleibt. Wie verhält sich die SPD zur 
Linkspartei? In Hessen und überall sonst. Wie füllt sie ihren 
Markenkern, das Soziale? Und will sie das überhaupt, eine weitgehend 
streitfreie Existenz? Frank-Walter Steinmeier ist jetzt 
Kanzlerkandidat. Er ist es ein ganzes Jahr lang. Ein gutes Jahr 
sogar: 385 Tage, das sind 9240 Stunden; 554 400 Minuten; 33 264 000 
Sekunden. Eine lange Zeit also.

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