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WAZ: EU und Nato - Zwei Weltkriege reichen. Leitartikel von Gerd Niewerth

Essen (ots)

Jüngste Umfragen der "Financial Times" in Sachen
Bündnistreue haben Bemerkenswertes zu Tage gebracht. In der 
Schlüsselfrage, ob sie den Letten, Esten und Litauern im Falle eines 
russischen Militärschlages beistehen würden, ist die Ablehnung in 
Deutschland sehr hoch. Mehr als die Hälfte lehnt es ab, die 
Bundeswehr in den Krieg gegen Russland ziehen zu lassen.
Washington wird diese deutsche Zurückhaltung zwar wurmen, aber 
nicht sonderlich überraschen. Schon als George W. Bush die Nationen 
für den Waffengang gegen den Irak hinter sich sammelte, haben die 
Deutschen gefehlt. Auch im Süden Afghanistans, wo die Hauptlast im 
Krieg gegen die Aufständischen zu tragen ist, macht die Bundeswehr 
nicht mit.
Ist Deutschland somit ein unsicherer Kantonist? Ein 
Bündnispartner zweiter Klasse? Der Blick auf die Realitäten spricht 
eine ganz andere Sprache: Deutschland gehört in Afghanistan zu den 
größten Truppenstellern, gleiches gilt für den Balkan oder in der 
Levante. Nicht zu vergessen die EU-Friedensmissionen, bei denen 
Deutschland ebenfalls oft genug voranmarschiert.
Der große Winston Churchill hat sich einst gewundert über die 
merkwürdige deutsche Rolle in der Welt: "Entweder hat man sie an der 
Gurgel oder zu Füßen." Mittlerweile ist Deutschland selbstbewusst 
genug, um eine balancierte Rolle auf der Weltbühne zu spielen.
Eine deutsche Zurückhaltung in der sehr hypothetischen baltischen
Beistandsfrage offenbart eher ein gravierendes (Image-) Problem der 
Nato. Nicht nur, dass sie ohne Visionen und strategisches Konzept 
dasteht. Hinzu kommt, dass die Hypermacht USA eindeutig den Ton 
angibt, während die übrigen 25 Länder treu ergeben die Hacken 
zusammenschlagen müssen. Auch im aktuellen Kaukasus-Konflikt sind es 
vor allem die USA, die für die Nato eine abschreckende 
Streitkräfteplanung und höhere Verteidigungsausgaben einfordern. Die 
EU hebt sich davon wohltuend ab. Zu Unrecht als unfähige 
Kompromissmaschine verschrien, entpuppt sich die Union als "sanftes 
Imperium" und erfolgreiche Konfliktmanagerin.
Wenn's um Russland geht, sollte die spezielle deutsche 
Befindlichkeit nicht unterschlagen werden. Nach dem schrecklichen 
Gemetzel zweier Weltkriege verspüren die Deutschen - und die Russen 
ebenso - keinerlei Drang, erneut mit Waffen aufeinander los zu gehen.
Der Dialog am Konferenztisch ist allemal besser, selbst wenn man sich
dabei anbrüllt.

Pressekontakt:

Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-2727
zentralredaktion@waz.de

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