Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: SPD sucht die Offensive - Gefährlicher Wahlkampf - Leitartikel von Angela Gareis
Essen (ots)
Gelegentlich hat man den Eindruck, dass es nur eine Partei gibt, die Wahlkampf betreiben will. Die SPD. Seit Wochen zeigen Sozialdemokraten eine erhöhte Interviewbereitschaft, die sich zuletzt in Kritik an der Kanzlerin (Franz Müntefering) niederschlug oder im Vorwurf mangelnder Durchsetzungsfähigkeit der CDU-Vorsitzenden (Olaf Scholz) oder in der Forderung nach höheren Steuern für Reiche (Andrea Nahles). Am kommenden Wochenende will die Partei in die nächste Phase eintreten, indem sie ihr Wahlprogramm vorstellt und Kanzlerkandidat Frank-Walter Steinmeier öffentlich feiert. Dass die SPD so früh in die Offensive strebt, ist verständlich, weil sie mehr als alle anderen Parteien unter schlechten Umfragewerten leidet. Aber dieser Wahlkampf birgt enorme Risiken.
Die Krise hat die Welt in ihren Grundfesten derart erschüttert, dass ein "normaler" Wahlkampf schwer vorstellbar ist. Nachdem die vermeintliche Rationalität des Wirtschaftssystems zusammengebrochen ist, müssen Politiker ihren Wählern das blanke Gefühl vermitteln, dass sie Auswege aus einer Krise finden können, deren Verlauf sie selbst maximal ahnen. Die Republik dürfte damit der personalisierten Wahl nach amerikanischem Vorbild deutlich näher rücken. Deshalb setzten die Christdemokraten ausschließlich auf die Popularität der Kanzlerin und bleiben inhaltlich entschieden vage, womit sie zugleich nur ein Angriffsziel bieten: Angela Merkel. Die Sozialdemokraten haben das Ziel akzeptiert, wie die Angriffe beweisen, mit denen sie die Führungsstärke der Kanzlerin infrage zu stellen suchen. Allerdings könnte die SPD in eine simple Mausefalle geraten, was zugegebenermaßen ein unelegantes Bild ist, weil Merkel darin der Käse wäre.
Nicht nur Politikberater halten die Strategie des Dreckschleuderns in Krisenzeiten für kontraproduktiv. Auch einige Sozialdemokraten und vor allem Sozialdemokratinnen fürchten, dass die Demontage der weithin geschätzten Kanzlerin das eigene Ansehen nicht steigert.
Erschwerend kommt hinzu, dass die SPD die Zustimmung von Frauen nicht gefährden darf, die Rot-Grün zweimal zur Macht verholfen haben. Junge Frauen, die Merkel 2005 noch nicht wählen wollten, aber heute von einer modernen Familienpolitik profitieren, könnten es verübeln, wenn Männer die Kanzlerin zur schwachen Figur erklären. Viel deutet darauf hin, dass sich ein Wahlkampf nach dem alten Muster "Konkurrenz beschädigen" nicht auf der Höhe dieser Zeit bewegt.
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