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WAZ: Klimawandel, Kulturwandel - Eine neue Gesellschaft. Leitartikel von Jürgen Polzin

Essen (ots)

Wandel und Verwerfungen, wohin wir schauen. Banken
taumeln, Kaufhäuser schließen, Menschen verlieren ihre Arbeit. 
Abermilliarden an Staatshilfen verschwinden im Sog dieser globalen 
Rezession, die ein Glaubensbekenntnis des Kapitalismus außer Kraft 
gesetzt hat: Jene Annahme, dass unsere westlichen Gesellschaften nur 
bei wirtschaftlichem Wachstum ihren Wohlstand sichern können. Das 
Gegenteil ist der Fall, wie die gigantische Geldvernichtung nun 
zeigt. Das ungehemmte Wachstum war auf Pump finanziert. Man hat auf 
Kosten anderer gelebt, das Haushalten ins Gegenteil verkehrt. Die 
große Party ist vorbei, die Grenzen des Wachstums erreicht.
Noch größer, noch komplexer ist das Problem, von dem die 
Klimaforscher sagen, dass es das umfassendste Marktversagen in der 
Geschichte der Menschheit sei: die globale Erwärmung. Eine durchaus 
tragische Geschichte. Denn Öl und Kohle feuerten nicht nur die 
Volkswirtschaften an, sondern brachten durch die 
Kohlendioxid-Emissionen Klimaveränderungen ins Rollen, deren Folgen 
nun die Grundlagen unseres Lebens bedrohen. Das ist keine Frage der 
Ideologie, sondern schlichte Physik, wie der Klimaforscher Hans 
Joachim Schellnhuber sagt: Die noch nicht verbrannten Kohlevorräte 
sind von gigantischem Ausmaß, doch die Mülldeponie über unseren 
Köpfen, die Atmosphäre, ist schon voll.
Über Mäßigung und Demut wird nun angesichts der Finanzkrise 
gesprochen. Beim Klimaproblem geht das seit Jahrzehnten so, ohne dass
das Wissen der Forscher bislang zur Einsicht oder zum Handeln geführt
hat. Das Schlimme daran ist: Viele der Entwicklungen in den 
Ökosystemen vollziehen sich schneller, als es die Forscher für 
möglich hielten. Die Eisschmelze in der Arktis, das Auftauen der 
Permafrostböden, das Versauern der Meere. Zynismus macht sich in der 
Wissenschaft breit: Wenn in der Debatte um Klimaschutz etwas für eine
Beschleunigung sorgt, dann wird das nicht der Politik zu verdanken 
sein, sondern der Natur.
Wir stehen vor der Frage, uns selbst neu zu erfinden. Eine 
Gesellschaft, die nicht rechts und links an die ökologischen 
Leitplanken stößt, aber zufrieden lebt. Dafür müssen sich 
Mentalitäten ändern, Lebensstile überdacht werden. Klimawandel 
bedeutet Kulturwandel, heißt die Botschaft der Essener Klimatagung, 
die das Kulturwissenschaftliche Institut und die Stiftung Mercator 
ausrichten. Es ist eine Veranstaltung zum richtigen Thema, zum 
richtigen Zeitpunkt. Denn sie macht das, was wir in den Zeiten der 
Krisen brauchen: Mut.

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Telefon: 0201 / 804-6528
zentralredaktion@waz.de

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