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WAZ: Umfragetief der FDP - Der Sinn für die Wirklichkeit fehlt - Leitartikel von Thomas Wels

Essen (ots)

Opposition ist Mist, hat Franz Müntefering gesagt.
Und für die SPD hat er damit wahrscheinlich sogar Recht. Auf die FDP 
gewendet, ist die Lage allerdings umgekehrt. Für die Liberalen ist 
Opposition toll. War sie jedenfalls. Elf Jahre lang haben sie es sich
im Elfenbeinturm eingerichtet, haben von dort oben die ganze Wahrheit
über Ordnungspolitik und Marktwirtschaft und Wettbewerb und Freiheit 
verkündet. Und treffen nun hart auf dem Boden der Wirklichkeit auf.
Der Liberalismus als Gedankengebäude ist prima: In der Opposition 
kann man sich in alle Richtungen profilieren, kann große Ideen von 
Bürgergeld und einheitlicher Gesundheitsprämie schadlos debattieren 
und in Programme schreiben. Das alles mag gut und wichtig sein, 
ebenso wie das Vorhandensein einer Stimme, die in Zeiten wachsenden 
Staatseinflusses vor eben diesem warnt. In der Regierungspraxis 
allerdings geht es um das Machbare. Wolkenschieberei gepaart mit dem 
bösen Vorwurf der Klientelpolitik - das schickt die Liberalen in den 
Umfragekeller.
Hinzu kommt die sträfliche Verkennung der eigenen Wähler. Die 
Enttäuschten sind die Bodenständigen. Freiberufler oder Handwerker 
sind Leute, die wissen, dass sie den Euro, den sie ausgeben wollen, 
zuerst verdienen müssen. An eine sich selbst finanzierende 
Steuerentlastung glaubt kein Ökonom, warum sollten das dann die 
Praktiker glauben? Und die trotzige Parole "Jetzt erst recht, nur 
schneller" verschlimmert das Elend nur noch. Wer weniger einnimmt, 
kann weniger ausgeben, hat Otto Graf Lambsdorff kurz vor seinem Tod 
gesagt. Es fehlt an solchen Realisten in der FDP.
Die Liberalen wirken seltsam aus der Zeit gefallen. Die Finanzkrise 
hat viel mit Wirtschaft und Gesellschaft gemacht, an der FDP scheint 
sie spurlos vorbeigegangen zu sein. Während Parteichef Westerwelle 
dem Staat die Schuld zuwies, weil der nicht auf die Banken aufgepasst
habe, hat NRW-Ministerpräsident Rüttgers geschickt die Väter der 
Sozialen Marktwirtschaft (Ordo-Liberale wie Röpke oder Eucken) als 
Kronzeugen für seine Sache gekapert. Der Rheinische Kapitalismus als 
Krisenblocker.
Zum Realitätsschock der FDP kommt der drohende Machtverlust hinzu. 
Die FDP hat Rüttgers, den Handwerker der Macht, unterschätzt. Der 
CDU-Chef am Rhein hat sich von den Liberalen emanzipiert und eine 
Regierungsoption mit den Grünen eröffnet. Immerhin scheint 
Schwarz-Grün heute wahrscheinlicher als ein rot-rot-grünes Bündnis 
mit den Linkschaoten. Und die CDU ist näher an den Grünen als die FDP
an der SPD. Grund genug für die Nervosität der FDP.

Pressekontakt:

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Zentralredaktion
Telefon: 0201 / 804-6528
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