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WAZ: Vorratsdatenspeicherung gekippt - Ein wenig schmeichelhaftes Urteil - Leitartikel von Miguel Sanches
Essen (ots)
Die Richter haben auf die Reset-Taste gedrückt. Das Gesetz zur Vorratsdatenspeicherung ist gekippt. Aus. Nun sollte sich die Regierung Zeit für eine solide Analyse lassen, und die Medien sollten nicht den Fehler begehen, das gestrige Urteil des Verfassungsgerichts zum Akt einer Oper zu machen. Wenn überhaupt, ist es ein Akt der Normalität. Es zeigt: Die Gewaltentrennung funktioniert, der Bürger ist nicht schutzlos. Schlechte Politik ist korrigierbar! Das Urteil überrascht nicht. Nicht nach dem konkreten Vorlauf, auch nicht nach der Vorgeschichte. In Karlsruhe haben sie bereits im Jahr 1983 das Recht auf informationelle Selbstbestimmung kreiert. Die Datenschützer haben einen Stein im Brett. Es liegt in der Kontinuität der Rechtsprechung, dass nun die anlasslose Speicherung von Verbindungsdaten verworfen wurde. Dass man über die Daten Profile erarbeiten kann und die Bevölkerung nicht unter Generalverdacht stellen darf, liegt auf der Hand. Oder? Offenbar nicht. Beschämend ist, dass die Politik die Abwägung zwischen Freiheit und Sicherheit zu oft schleifen ließ. Beispiel Online-Durchsuchung, Beispiel Luftsicherheitsgesetz. Warum? Nach 2001, nach dem Anschlag auf das World Trade Center, wurde vieles im Affekt gemacht. In den letzten vier Jahren kam Dickfelligkeit dazu. Die Große Koalition war sich selbst genug. Sie hätte sich ernsthafter mit Einwänden befassen müssen. Eine Besonderheit des Urteils ist der Europa-Bezug. Denn die Vorratsdatenspeicherung geht auf eine EU-Richtlinie zurück. Jahrelang sah die Praxis so aus: (Innen)Minister haben sich in Brüssel die Sachzwänge bestellt und abgeholt, die ins Konzept passten. Das Urteil sollte zum Umdenken zwingen. Man darf weder in Brüssel noch danach in Berlin nichts durchwinken, was das Grundgesetz strapaziert. Hätte Karlsruhe die Speicherung per se für verfassungswidrig erklärt, wäre der Europäische Gerichtshof pikiert. Man könnte auf den Gedanken kommen, europäische Fragen gleich dem EuGH zu überlassen. Gestern haben sie in Karlsruhe das delikate Konkurrenzverhältnis elegant ausgeblendet. Für das Parlament sind die Korrektur-Urteile nicht schmeichelhaft. Es sollte der ganze Stolz Abgeordneter sein, Gesetze zu entwickeln, die wasserfest sind. Nun kommt es umso mehr darauf an, ein sauberes Werkstück zu liefern, sich nicht unter Zeitdruck zu setzen und die Sinnfrage ehrlich zu beantworten: Müssen die Daten der Kommunikation gespeichert werden? Geht's nicht ohne?
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