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WAZ: Der Untergang, der Mahnung war. Leitartikel von Dietmar Seher

Essen (ots)

41 Grad 46 Minuten Nord, 50 Grad 14 Minuten West. 15. April 1912. RMS Titanic. Ruhe in Frieden.

Die kalte Nacht im Nordatlantik, die 1500 Menschen in den Tod riss, hat die Welt tief getroffen. Sie hat sie in ihrem Lauf verunsichert. Über Jahrzehnte verabschiedete sich die Schicht des internationalen Eiswarndienstes, der seine Existenz der Katastrophe verdankt, allabendlich mit diesem Funkspruch. Noch heute, nach einhundert Jahren, wird das Gedenken an die Opfer des "Titanic"-Untergangs zum globalen Event.

Auch andere Schiffe fuhren - vorher und später - ins Unglück. Die "Lusitania". Die "Gustloff". 1994 noch die "Estonia". Da war die "General Slocum", die mit eintausend deutschen Bewohnern New Yorks 1903 im East River sank. Weiß es noch wer? Die Faszination des "Titanic"-Untergangs aber liegt im Symbol für das Ende einer Epoche, die nur das unbedingte Vorwärts kannte.

Im Jahrhundert zwischen Napoleon und Wilhelm II. hatte sich das Lebenstempo vervielfacht. Die Kutsche war der Eisenbahn unterlegen, der Stahl hatte das Holz abgelöst, die Dampfschiffe die Segler. Das Zauberwort hieß Industrialisierung, ihr Lebensgefühl war ein blinder Optimismus. Beider Spitzenprodukt wurde die "Titanic". Unschlagbar und unsinkbar, wie der "Shipbuilder" schrieb, ging sie doch unter. Die Natur hatte - als Eisberg - den Weg blockiert.

Jedes Leben geht zu Ende. Das Sinken des Schiffes in jener Nacht mag die folgenden Generationen vor allem an diesen Satz erinnert haben - und daran, dass er für alle gilt. Für einen Benjamin Guggenheim, dessen Leiche verschollen blieb, wie für Auswanderer der dritten Klasse. Zwei Jahre nach dem Desaster brachte der Erste Weltkrieg eine endgültige Bestätigung dieser Weisheit.

Doch der Zusammenstoß auf 41 Grad Nord, 50 Grad West gibt auch Mut. Heute wissen wir: Die Menschen sind fähig, aus bitteren Erfahrungen zu lernen. Sicherheit zu einem Maßstab für gesellschaftliches Wohlergehen zu machen, ist seither kein überflüssiger Gedanke. Die weltweite Debatte, ob sich der Globus nach Fukushima Kernkraft noch erlauben kann, ist Beleg dafür. Wir verachten nicht das "Vorwärts". Wir knüpfen es, mehr als früher, nur an Bedingungen.

Fazit: Das Drama der "Titanic" wirkte als Mahnung, den Fortschritt um jeden Preis zu überdenken. Die Menschen verstanden.

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