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WAZ: Angela Merkel - wer auch sonst? - Leitartikel von Andreas Tyrock zur erneuten Kandidatur der Kanzlerin

Essen (ots)

Angela Merkel tritt nicht mehr an. Sie will das Feld den Jüngeren in der CDU überlassen. Das wäre am Wochenende eine Meldung gewesen, die das politische Deutschland aufgerüttelt hätte. So aber gab Angela Merkel das bekannt, was ohnehin jeder wusste: Sie kandidiert erneut für den CDU-Vorsitz und das Kanzleramt. Wer auch sonst? Wer sonst in der Partei wäre derzeit in der Lage, die Christdemokraten und insbesondere dieses Land zu führen? Angela Merkel steht für Erfahrung, für Stabilität, für Verlässlichkeit. Für die Union ist dies Fluch und Segen zugleich.

Wenn es um den reinen Machterhalt geht, war Angela Merkel bisher eine sichere Bank. Sie holte der CDU die Mehrheiten und den Abgeordneten die Mandate. Deshalb konnte sie der Bundestagsfraktion in den vergangenen Jahren einiges zumuten. So mancher CDU-Parlamentarier ballte insbesondere in der Flüchtlingspolitik und mit Blick auf die Sozialdemokratisierung der Partei die Fäuste in der Tasche, fügte sich dann aber doch dem Willen der Chefin.

An der Basis sieht dies etwas anders aus, zumal es dort weniger oder gar keine Abhängigkeiten von Merkel gibt. Gerade dem konservativen Flügel der Partei ist die politische Heimat abhanden gekommen, dort rumort es teilweise gewaltig. Dass Horst Seehofer und seine CSU diese Lücke in Bayern ausfüllen, ist dabei nur ein schwacher Trost. Zumal die Christsozialen beim Fischen am konservativen, rechten Rand bisweilen die Grenzen verantwortungsvoller Politik überschreiten. Erschwerend kommt für die CDU hinzu, dass Angela Merkel und ihr ausgeprägter Machtinstinkt es seit Jahren nicht zulassen, dass sich jemand aus der zweiten Reihe der Partei nachhaltig profiliert. Auch deshalb gibt es auf die Frage "Wer sonst?" keine Antwort.

Dennoch geht Angela Merkel mit ihrer Kandidatur ein weitaus größeres Risiko ein als in den vergangenen Amtsperioden. Zwar spricht einiges dafür, dass die Union stärkste Kraft und Angela Merkel Bundeskanzlerin bleibt - aber die sichere Bank für ihre Partei ist sie nicht mehr. Die Kanzlerin, früher Garant des Ausgleichs, polarisiert und mobilisiert ihre Gegner. Nicht zuletzt die US-Wahlen haben gezeigt, dass das Wählerpotenzial der Unzufriedenen einiges bewegen kann. Zumal Angela Merkel ein Deutschland führt, das verunsichert und gespalten ist wie selten zuvor. Ein Land, das in der Euro- und Finanzkrise seine Stärke zeigte, in dem aber auch wirtschaftliche Erfolge die Verlustängste nicht vertreiben konnten. Ein Land, in dem die Kanzlerin vor allem durch die offenen Grenzen in der Flüchtlingskrise viel Vertrauen einbüßte, das sie trotz einer zuletzt restriktiven Asylpolitik nicht zurückgewinnen konnte. Ein Land, in dem der Ton deutlich rauer geworden ist und Beleidigungen vor allem im Internet zur Tagesordnung gehören. Und das alles in einem Europa, das eine seiner größten Vertrauens- und Existenzkrisen durchlebt.

Wer sich jetzt noch die politische Unberechenbarkeit des neuen US-Präsidenten Trump, das rücksichtlose Machtstreben des russischen Präsidenten Putin und das diktatorische Vorgehen des türkischen Präsidenten Erdogan vor Augen führt, könnte die Frage stellen, warum sich Angela Merkel das alles noch einmal antut. Pflichtbewusstsein? Die Freude am Regieren? Die Lust an der Macht? Die historische Herausforderung? Eine Mischung aus allem? Oder einfach die Tatsache, dass ein Rückzug einer Kapitulation gleichkäme? Und das nach zwölf Jahren im Amt? Nein, das wollte sie nicht zulassen. Auch deshalb tritt Merkel noch einmal an.

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