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WAZ: Partei im Wahlkampfmodus - Kommentar von Andreas Tyrock zur Wiederwahl Angela Merkels zur CDU-Chefin

Essen (ots)

Angela Merkel hat einen Dämpfer bekommen, mit dem sie aber leben kann. 89,5 Prozent der Delegierten des Essener CDU-Parteitages stimmten gestern für sie. Das ist nicht überragend, es ist auch nicht gut, aber angesichts der Ausgangslage kein herber Rückschlag. Denn lange vor dem Parteitag war klar, dass es an der Basis weiterhin gärt und brodelt, dass der Rückhalt in der Bevölkerung längst nicht mehr so groß ist wie früher. Klar war auch, dass Merkels Flüchtlingspolitik nicht nur die Gesellschaft gespalten und der AfD Auftrieb gegeben hat, sondern dass viele Christdemokraten auf der Suche nach einem politischen Zuhause sind, in dem sie sich wieder wohlfühlen können.

Andererseits wurde gestern in der Grugahalle schnell deutlich, dass sich die große Mehrheit der Delegierten für Geschlossenheit und Rückendeckung entschieden hat. Es ist wie ein Deal auf Zeit: Wir gönnen unseren politischen Gegnern keinen Streit, sondern schalten in den Wahlkampfmodus und unterstützen die Kanzlerin; zugleich geht Angela Merkel noch stärker auf uns zu.

Das tat sie in Essen, sowohl inhaltlich als auch rhetorisch. Merkel sprach sich für ein Verbot der Vollverschleierung "wo immer es geht" aus, unterstützt klarere und härtere Abschieberegeln sowie Transitzonen an den Grenzen. Und, diese Erwartung schwebte förmlich über dem gesamten Parteitag, die Kanzlerin gewährleistet, dass die Zahl der Flüchtlinge bei weitem nicht mehr die Dimensionen des vergangenen Jahres erreicht. Es müsse überschaubar bleiben. "Eine Situation wie im Spätsommer 2015 darf sich nicht wiederholen", lautete Merkels Ansage. Das böse Wort von der Obergrenze blieb gleichwohl für alle ein Tabu; dies ist Teil des Deals.

Doch Angela Merkel musste auf diesem Parteitag noch mehr tun. Sie musste die Delegierten emotional stärker packen als es eigentlich ihre Art ist. Am Ende ihrer Rede machte sie sich kleiner, als sie vor allem international gesehen wird. Ein einzelner Mensch könne die aktuellen Herausforderungen nicht bewältigen, sie brauche Unterstützung: "Ihr müsst, ihr müsst mir helfen!", lautete die ungewöhnlich eindringliche Botschaft. Die Kanzlerin forderte Solidarität und setzte aufs Wir-Gefühl. Damit traf sie den Nerv der Delegierten, viele wirkten gerührt.

Fernab von taktischen, rhetorischen und strategischen Erwägungen wurde deutlich, dass Merkel mit manchen gesellschaftlichen Entwicklungen in Deutschland fremdelt. Wenn in Deutschland Hunderttausende gegen das Handelsabkommen TTIP, nicht aber gegen das Sterben im syrischen Aleppo auf die Straße gingen, "dann stimmt etwas mit den politischen Maßstäben nicht mehr", empörte sie sich. Zu Recht. Merkel ist immer dann stark, wenn sie authentisch Themen anspricht und entsprechende Botschaften sendet.

Es waren diese Sekunden, in denen sie die Delegierten erreichte - und besänftigte. Wenigstens für eine gewisse Zeit. Zumal aus Parteisicht am Ende allein der Wahlerfolg der CDU zählt. Daran wird sich Angela Merkel messen lassen. Und die Partei weiß, dass es nur mit ihr geht. Es ist, bis auf weiteres, niemand da für die erste Reihe. Im Vorfeld der Vorstandswahlen hatte Angela Merkel ein "ehrliches Ergebnis" angekündigt. Ob 89,5 Prozent der Stimmen ehrlich sind, könnte angesichts der Stimmung in der Partei bezweifelt werden. Aber letztlich wissen es nur die Delegierten selbst. Pragmatisch ist das Ergebnis allemal.

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