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WAZ: Eine Frage der Ehre - und noch viel mehr - Leitartikel von Andreas Tyrock zur Affäre bei der Bundeswehr

Essen (ots)

Wie viele Soldatinnen und Soldaten leisten ihren Dienst in der Bundeswehr gewissenhaft, aufrichtig, engagiert und anständig? Wie viele Vorgesetzte sind gute Chefs, arbeiten vorbildlich, pflichtbewusst und setzen sich für ihre Leute ein? Egal, wie die genaue Zahl lauten mag: Es sind sehr, sehr viele. Insofern waren die Vorwürfe von Bundesverteidigungsministerin von der Leyen in ihrer Pauschalität ein Affront gegenüber all denjenigen, die ihren Job machen und die in Afghanistan, in Afrika oder sonst wo auf der Welt (im Auftrag der Ministerin) ihren Kopf riskieren.

Wer einmal nachts in unbekanntem Gelände auf Streife war, wer mit einer Waffe eine Kaserne bewacht oder miterlebt hat, wie sich Väter von ihren Familien verabschieden, um für ein Jahr nach Afghanistan zu gehen, der bekommt ein Gefühl dafür, wie die undifferenzierten Vorwürfe von der Leyens viele Soldaten und ihre Angehörigen verletzt haben dürften. Insofern ist die Empörung über die Verteidigungsministerin berechtigt.

Andererseits wäre es natürlich naiv, die Bundeswehr als Organisation ohne Fehl und Tadel zu sehen. In den Jahrzehnten ihres Bestehens haben sich Missstände ausgebildet, die mancherorts schwer aufzulösen sind. Man hält dicht, man hält zusammen und mancher hält auch die Hände auf, wenn es um lukrative Aufträge etwa bei der Beschaffung von Waffen oder Fahrzeugen geht. Dass rechtsextrem Gesinnte die Armee als gemeinsame politische und agitatorische Heimat entdecken, ist ebenfalls kein unbekanntes Phänomen. Dass ein Offizier mit zwei Identitäten Terroranschläge verüben will und möglicherweise Mitwisser hat, reicht allerdings weit über das bisher Vorstellbare hinaus.

Insofern hat sich von der Leyen mit ihrer pauschalen Kritik an der Bundeswehr und deren Führungskräften falsch, mit ihrem rigorosen Vorgehen im konkreten Fall richtig verhalten. Unter dem Druck der Ereignisse und der bevorstehenden Bundestagswahl setzt sie sich an die Spitze der Bewegung. Ihr gestriger Besuch in der elsässischen Kaserne in Illkirch war ein klares Signal. Sie will aufklären. Sie will sich keine Versäumnisse vorwerfen lassen, zumal sie für diese Ereignisse letztlich die Verantwortung trägt. Sie ist seit 2013 im Amt, so dass sie nichts mehr auf ihre Vorgänger abwälzen kann.

Zur Wahrheit gehört allerdings auch, dass von der Leyen und die Bundeswehr bis heute mit einer gravierenden Fehlentscheidung von Ex-Verteidigungsminister zu Guttenberg zu kämpfen haben. Der CSU-Politiker schaffte 2011 handstreichartig die Wehrpflicht ab und setzte damit fahrlässig die Verankerung der Armee in der Gesellschaft aufs Spiel. Die Warnungen vor einem "Staat im Staate" waren laut und berechtigt. Der Einsatz von Wehrpflichtigen tat der Bundeswehr gut - auch wenn das aus Sicht manches Wehrpflichtigen umgekehrt nicht der Fall war. Dennoch gab es ein Grundverständnis und über Generationen einen Grundkonsens über die Rolle der Bundeswehr als Verteidigungsarmee und Teil der demokratischen Stabilität. Auch war die Wehrpflicht für die Bundeswehr ein geeignetes Mittel, Nachwuchs aus der Mitte der Gesellschaft aufzubauen.

Dies alles hat sich in ganz kleinen Schritten, über die zeitliche Distanz aber doch merklich verändert. Insofern muss in der Bundeswehr da aufgeräumt werden, wo es Missstände gibt. Nicht pauschal, sondern fallbezogen und konsequent. Für Ursula von der Leyen geht es um die politische Zukunft, für die Bundeswehr um die Glaubwürdigkeit - und damit um ihr höchstes Gut.

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