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WAZ: Packt das O-Wort in sprachliche Watte! - Leitartikel von Alexander Marinos zum Dilemma der CSU bei der Regierungsbildung

Essen (ots)

Otto von Bismarck war nicht nur ein in der Rückschau durchaus umstrittener Reichskanzler, sondern auch ein von Bewunderern und Gegnern geachteter Realpolitiker. Zu seinen wichtigsten Grundsätzen gehörte, Politik als Kunst des Möglichen zu verstehen. Wer in einer Jamaika-Koalition nach der Bundestagswahl also einerseits eine alternativlose, andererseits im Kern aber auch "unmögliche" Regierungsoption sieht, der weiß: Jetzt sind Möglichkeits-Künstler gefragt.

Angela Merkel ist im Prinzip der Prototyp einer solchen Möglichkeits-Künstlerin. Ihre, nennen wir es einmal, politische Wendigkeit, fernab jeder Ideologie, hat noch jeden Konflikt entschärft, oder besser: entkräftet. Allerdings gibt es eine entscheidende Ausnahme: ihre Flüchtlingspolitik. Ausgerechnet hier hat sich Merkel vom "C" im Namen ihrer Partei leiten lassen und überraschend ein Prinzip in den Mittelpunkt ihres Handelns gestellt: das der christlichen Nächstenliebe. Dafür wird sie bewundert, kritisiert und verachtet. In jedem Fall hat sie so - und das ist nur eine Beschreibung, keine Bewertung - ein Vakuum rechts von den Unionsparteien entstehen lassen, das mindestens die CSU nach ihrem Selbstverständnis existenziell bedroht.

CSU-Chef Horst Seehofer braucht darum, mehr denn je, die Obergrenze, die zwar mit dem "C" im Namen seiner Partei nichts zu tun hat (was eine Beschreibung und eine Bewertung ist), die aber sein politisches Überleben sichern soll. Die Obergrenze - also die Begrenzung der Asylsuchenden in Deutschland auf 200.000 pro Jahr - ist seine rote Linie, ohne die es eine Einigung mit der CDU als Voraussetzung für gemeinsame Koalitionsverhandlungen nicht geben kann. Zugleich ist es auch die vermutlich einzige echte rote Linie der Kanzlerin. Die, die sonst fast alles möglich macht, sieht in der Obergrenze nämlich schon eine verfassungsrechtliche Unmöglichkeit. Denn im Grundgesetz steht: "Politisch Verfolgte genießen Asylrecht." Dort steht nicht: "Die ersten 200.000 politisch Verfolgten genießen Asylrecht." Und es kommt noch schlimmer für die CSU. Selbst wenn Merkel umfallen würde: Mindestens die Grünen könnten - Stichwort: rote Linie - einen Koalitionsvertrag, in dem das O-Wort steht, nie und nimmer unterschreiben.

Was tun? Wenn Politik die Kunst des Möglichen ist, dann kann man mit der Sprache als wichtigstem Instrument der Politik Unmögliches womöglich in gerade noch Mögliches verwandeln. Beispielsweise könnte die FDP der grünen Forderung nach einem "Ende des Verbrennungsmotors" 2030 sicher nicht zustimmen. Würde man dagegen in einen "Ausstieg" des Verbrennungsmotors nur "einsteigen", also eine "Trendwende" einleiten, wie es die FDP selbst formuliert hat, müssten weder Grüne noch FDP aus Koalitionsverhandlungen aussteigen. Das funktioniert so vielleicht auch in der Flüchtlingspolitik. Die FDP etwa fordert ein Einwanderungsgesetz (dafür müsste freilich mit Rücksicht auf CDU und CSU ein neues Wort gefunden werden). Es geht darum, das Asylrecht, einen vorübergehenden Flüchtlingsschutz und die Einwanderung von Fachkräften zu regeln und miteinander zu verbinden. Natürlich ließe sich hier auch ein Grenzwert festlegen, der flexibel ist. Ein "atmender Richtwert" also statt einer starren Obergrenze - und Seehofer könnte aufatmen und sagen: Freunde, wir haben uns weitestgehend durchgesetzt.

Das seien Taschenspielertricks? Na klar. Aber wenn es um nichts weniger als die Regierungsfähigkeit Deutschlands geht, dann heiligt der Zweck die Mittel. Der Ober-Realo Bismarck hätte das wohl auch so gesehen.

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