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WAZ: London im Visier von Terroristen: Verwundbar - Leitartikel von Hendrik Groth

Essen (ots)

Die Terroristen können sich zufrieden zurücklehnen.
Ihr perfides taktisches Kalkül ist voll aufgegangen. Die
Demonstration ihrer Macht und ihrer Möglichkeiten ist gelungen. Genau
einen Tag nach dem umjubelten Zuschlag für die Olympischen Spiele
bomben sie Chaos und Verzweiflung in die britische Hauptstadt.
Während der britische Premier Tony Blair mit den mächtigsten Männern
der Welt in Schottland Geschichte schreiben und sich im Glanz seiner
jüngsten Erfolge sonnen will, zünden die Extremisten skrupellos im
Finanzzentrum Londons ihre Sprengsätze, verbreiten ohne Vorwarnung
Tod und Angst, lähmen das öffentliche Leben. Die Botschaft und
Symbolik an die freien Gesellschaften auf diesem Globus ist klar und
deutlich: Zu jeder Zeit, an jedem Ort kann zugeschlagen werden. Leben
wird grundsätzlich nicht geachtet, nicht im Mindesten respektiert.
Ein Irrglaube, die Gefahr sei vorüber oder Selbstmordattentäter
beschränkten sich auf den Irak, wo der tägliche und im Westen kaum
noch beachtete Blutzoll häufig so hoch ist, wie bei der jüngsten
Anschlagsserie in Großbritannien. Es gibt keine neue Erkenntnis,
keine neuen Schlussfolgerungen nach den Attentaten. Solidarität wird
eingefordert und geleistet. Das Mitgefühl der Menschen für die Opfer
und deren Angehörige ist echt. Dass der G8-Gipfel nicht abgebrochen
wurde, ist richtig. Nur: eine wirkliche Antwort auf das Geschehen ist
die Fortsetzung der Tagesordnung durch die Toppolitiker dieser Welt
nicht. So wirkten die Worte der Staatsmänner trotz Entsetzens
einstudiert, sie wirkten mechanisch und auch hilflos, man konnte sie
vorformulieren. Doch was anderes hätten die Regierungschefs vor den
Mikrofonen und Kameras sagen sollen? Natürlich darf die Bedrohung
nicht leicht genommen werden, natürlich muss versucht werden, der
Täter habhaft zu werden, natürlich muss dem Terror der Kampf angesagt
werden und auch der Boden, auf dem die Hassideologien wachsen, muss
trockengelegt werden. Nur wie? In Afghanistan sind El Kaida und
Taliban militärisch schwer angeschlagen. US-Soldaten und Alliierte
haben den Kämpfern ihre Rückzugsräume abgeschnitten, Ausbildungslager
gibt es nicht mehr. Dennoch vermögen ihre Gefolgsleute in Europa mit
vergleichsweise leichten Mitteln zu töten. Die militärische Option
beziehungsweise Antwort auf den 11. September 2001 überzeugt also
auch nicht. Die offene Gesellschaft und eine offene Stadt wie London
sind verwundbar, eine absolute Sicherheit ist unmöglich. Der Terror
ist in dieser Form nicht beherrschbar. Wie sollen die
Sicherheitskräfte einen möglichen, fürchterlichen Anschlag
verhindern, wenn Millionen Menschen auf den Beinen sind und das Leben
in einer Weltmetropole pulsiert? Wer von Fahndungs- und
Aufklärungsarbeit im Vorfeld spricht, macht es sich leicht. Sie ist
unabdingbar, garantiert aber nicht den erhofften Erfolg. Die Zahl der
bin-Laden-Sympathisanten ist nach Auskunft von Experten für unser
Empfinden unerträglich hoch. Dennoch darf es dem Rechtsstaat auf gar
keinen Fall passieren, Menschen eines Glaubens unter Generalverdacht
zu stellen, weil ihre Religion von Fanatikern missbraucht wird. Die
Terrorholding El Kaida wird für den Wahnsinn von London
verantwortlich gemacht. Vielleicht erhofften sich die Täter eine
Reaktion auf ihren vielfachen Mord wie in Spanien nach den Anschlägen
von Madrid, als die neugewählte spanische Regierung ihre Soldaten aus
dem Irak nach Hause holte. Doch ein Abzug britischer Soldaten aus dem
Zweistromland ist ausgeschlossen. Tony Blair steht kraftvoller da als
je zuvor. Vor Monaten wurde über das Ende der Ära Blair spekuliert,
heute steht Blair, so zynisch es auch klingen mag, nach den Bomben
moralisch auf dem Zenit seiner Macht. Noch etwas sollte klar sein:
Der letzte Terrorangriff in Europa war London nicht.

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