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WAZ: Der Rückzug des Übervaters als Chance: Die Grünen nach Fischer - Leitartikel von Ulrich Reitz

Essen (ots)

Jamaika, diese sommer-sonnige laisser-faire-Chiffre
für eine Koalition aus Schwarzen, Gelben und Grünen, hat vor allem
eines deutlich werden lassen: Die Grünen wären für ein solches
Bündnis derzeit kaum geeignet. Denn sie verstehen sich nicht als
liberale, sondern als linke Partei. Ihre größten Abwehrreflexe
entwickeln sie nicht gegenüber den Schwarzen, sondern den Gelben. Das
hat sehr viel zu tun mit Joschka Fischer. Der gilt bei den Grünen
selbst als sozialdemokratischster Grüner überhaupt. Er ist der Vater
der Rot-Grünen Koalition in ihrer polit-kulturellen Überhöhung als
umfassendes gesellschaftliches „Projekt”. Nur: als grüner Denker,
auch Vordenker, hat Fischer sich jetzt mit einem Paukenschlag
verabschiedet. Ein Schritt, der sich durchaus als ein Rache-Akt an
Schröder begreifen lässt. Am Abend der nordrhein-westfälischen
Landtagswahl überraschte der Kanzler seinen Vize mit seinem Plan,
Neuwahlen anzustreben. Fischer war dagegen und hat das später auch
öffentlich gesagt. Nun hat Fischer seinerseits Schröder überrascht
und sich beinahe erleichtert aus der ersten Reihe verabschiedet
(„Jetzt gehe ich nach Hause”). Seine Botschaft an Schröder wie an die
Grünen liegt auf der Hand: Stellt euch neu auf – in der Opposition.
Schröder wird dieser Schritt nicht beeinflussen, womöglich aber die
Grünen. Für die ist es eine neue, große Chance. Denn sie sind auch
eine Belastung los, nicht nur, weil Fischer bislang die Führung
blockierte; die Grünen müssten sich nicht mehr länger auf Rot-Grün
verengen, sie können sich öffnen für die andere, die Schwarz-Grüne
Bündnis-Option. Die andere kleine Partei, die FDP, hat solche
machtpolitisch gebotenen Häutungen mehrfach durchlaufen. In der
Nachkriegsgeschichte war sie mal nationaler, mal sozialer, mal
liberaler. Die neue Grünen-Führung könnte durch mehr Eigenständigkeit
dafür sorgen, dass die Grünen nicht per se wahrgenommen werden als
Mehrheitsbeschaffer für die SPD, sondern in dieser Funktion auch für
die Union. Dazu müssten sich die Grünen programmatisch erweitern. Sie
müssten den ökoliberalen Flügel, den sie zuletzt gekappt haben,
wieder beleben. Damit es am Ende selbstverständlich auch heißen kann:
Was spricht eigentlich dagegen, wenn eine linksliberale und eine
wirtschaftsliberale Partei mit der Union koalieren?

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