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WAZ: Der Wiederaufbau braucht Zeit - Kommentar von Hubert Wolf

Essen (ots)

Trauerfeiern. Schweigeminuten. Gottesdienste.
Gestern erinnerte sich die Menschheit daran, dass sie vor einem Jahr
binnen Stunden 230 000 Angehörige verlor. Ertrunken, erschlagen,
vermisst. Es wurde diese gewaltige Zahl, und während sie noch
zählten, kamen Bilder von flächendeckender Zerstörung, wie man sie
nie gesehen hatte; in Geschichtsbüchern vielleicht.
Der Katastrophe folgte die Sternstunde: Fast elf Milliarden Euro
wurden den Unglücklichen gespendet. Eine gigantische Summe, die mehr
als ausreichen wird. Grotesk ist sie aber nicht: 500 Millionen kostet
allein der Wiederaufbau der Häuser Sri Lankas – und dann wäre noch
keine Straße repariert und keine Schule, und kein Indonesier hätte
ein Dach, wo noch weit mehr Menschen . . . Nur erleben wir, dass die
Hilfe schlechtgeredet wird. Als verschwände der größte Teil in einem
Strudel aus Misswirtschaft, Korruption und gut gemeinter, aber
übereilter Hilfe. Das ist Unsinn.
Natürlich sind Dörfer am falschen Platz entstanden: zu weit weg
vom Meer für ihre Fischer. Natürlich ist ein Zins an die Korruption
nie zu vermeiden. Natürlich bewirkt die Allgegenwart der Helfer
Gewöhnung: Menschen warten, statt ihr Haus fertigzubauen, ob nicht
doch noch jemand Fenster ablädt. Natürlich haben Hilfswerke in ihrem
beinharten Konkurrenzkampf unsinnige Projekte betrieben, um zu Hause
Wirkung vorzeigen zu können. Die Beispiele sind alle richtig. Sie
beweisen nur nichts. Dieser Teil steht nicht für's Ganze.
Das Geld für die erste Hilfe war gut angelegt. Es gab keine
Seuchen, es gab schnell keinen Hunger mehr und keinen Wassermangel.
Man wird sich aber daran gewöhnen müssen, dass der Wiederaufbau
dauert. Wieso leben die denn noch in Lagern? Hinter der Frage
schimmert Misstrauen.
Sri Lanka etwa hat einfach zu wenig Baumaterial und zu wenige
Handwerker, als dass es viel schneller vorankommen könnte. Ach, das
Problem fing ja noch viel früher an. Der Tsunami war – drittrangig,
aber es muss einmal erwähnt werden – auch eine
Verwaltungskatastrophe. Ausweise, Verträge, Grundbücher, alles weg.
Wenn in Deutschland vor einem Jahr über 800 000 Menschen ihre
Wohnungen verloren hätten und nicht nachweisen könnten, wer sie sind
und was ihnen gehörte: Glauben denn Sie, das wäre jetzt alles
behoben?
Ihre 670 Millionen Euro haben die Deutschen zusätzlich gespendet.
Die reichlich zwei Milliarden, die sie jedes Jahr geben, wurden davon
nicht beeinträchtigt. Nun heißt es, andere Katastrophen seien
übersehen worden. Mittelamerika, Niger, Pakistan. Pakistan bekam
zuwenig, sagen Fachleute, weil es als Heimat grimmiger Gotteskrieger
mit langen Bärten gilt. Pakistan bekam von Deutschen 50 Millionen
Euro. Verglichen mit dem Tsunami, mag das wenig sein. Vor dem Tsunami
hätte es als großherzige Summe gegolten.

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