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WAZ: Kommentar zu: Zum Ende der Kennenlern-Tour: Kopf statt Bauch über die neue Außenpolitik - Von Ulrich Reitz
Essen (ots)
In Washington ging es nicht um Anbiederung und in Russland nicht um Isolation. Wenn die Berliner Außenpolitik eine Überschrift hat, dann diese: Balance.
Wo Schröder sich anbiederte, da sucht Merkel die Distanz. Wo Schröder sich isolierte, betreibt seine Nachfolgerin die Annäherung. Insgesamt hat in einem erstaunlichen Tempo, eine Korrektur der deutschen Außenpolitik stattgefunden. Eine Neujustierung, die ganz offensichtlich auch die SPD für notwendig hält, denn Einwände dagegen hat sie nicht verlauten lassen.
Es geht um eine außenpolitische Normalisierung, eine Re- Rationalisierung. Selbstredend verfolgt Außenpolitik zugleich stets innenpolitische Ziele, nur stehen diese bei der neuen Regierung nicht mehr im Vordergrund. Die Außenpolitik ist keine Geisel der Innenpolitik mehr. Das (vorläufige) Ende der Parteipolitisierung von Außenpolitik passt nicht nur zum Naturell der Kanzlerin und des Außenministers, der als erfahrener Spitzenbeamter alles andere als ein Rummelboxer sein will; es fügt sich auch in die Gesetzmäßigkeiten der großen Koalition ein. Würden SPD oder Union den Versuch machen, aus der Außenpolitik für sich Kapital zu schlagen, würde dies vermutlich keinem nutzen und Deutschlands angepeilte Rolle als ehrlicher Makler schwächen.
Brüssel (Europa plus Nato), Paris, Warschau, Washington, Moskau: Merkel hat sich bei ihren Antrittsbesuchen, bei denen es vordergründig vor allem ums Atmosphärische ging, denn Dinge von großer Substanz waren bei dieser Gelegenheit nicht zu besprechen, als parkettsicher erwiesen. Deshalb wird ein George Bush freilich weder ablassen von seiner unilateralen, rüden America first- Außenpolitik, noch von seinem inakzeptablen Umgang mit Freiheitsrechten; und Putin wird die neu-nationale, neo-imperiale Linie in seiner Territorial- (Tschetschenien) und Energiepolitik (Ukraine) nicht verlassen. Aber der Halb-Demokrat hat nun dabei seinen wichtigsten Dulder und Bündnispartner verloren.
Merkels Maßstäbe sind transparent und nachvollziehbar. Sie spricht in Washington wie in Moskau dieselbe Sprache, ausgehend vom Wert der Freiheit. Wie Steinmeier, analysiert sie die Dinge naturwissenschaftlich, um sie hernach ideologiefrei, also pragmatisch zu lösen. Konflikte werden nicht angeheizt, sondern kühl, bisweilen auch cool, moderiert. Kopf- statt Bauchpolitik: Das macht die Kanzlerin und ihre gesamte Regierung berechenbar und erschließt Berlin außenpolitische Spielräume.
Gewiss, damit ist noch keines der drängenden internationalen Probleme gelöst. Nicht die Iran-Frage, nicht die immer noch schwelende Krise Europas, nicht die Befriedung des Nahen Ostens, die Globalisierungsfolgen allerorten, von Afrika nicht zu reden. Aber erst der außenpolitische Neubeginn in Deutschland schafft dafür die Voraussetzung.
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