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WAZ: Europas neue Rolle - Kommentar von Jürgen Polzin

Essen (ots)

Der Zufall wollte es, dass Angela Merkel just in
jenen Tagen in den Nahen Osten reist, in denen die Fortsetzung des
Friedensprozesses auf des Messers Schneide steht. Doch mit dem
schlichten Antrittsbesuch einer Bundeskanzlerin hat die Reise nach
Israel und in die Palästinensergebiete ohnehin nichts mehr zu tun.
Merkel, so will es die zeitliche Choreographie dieser Stunden, ist
die erste hochrangige europäische Politikerin, die nach dem Wahlsieg
der radikal-islamischen Hamas die Region besucht. Daraus erwächst ein
Auftrag: Die Bundeskanzlerin spricht als EU-Diplomatin. Sie sagt es
klipp und klar: Iran ist eine Bedrohung, und Europa wird den Geldhahn
zudrehen, wenn die Hamas nicht der Gewalt ab-schwört und die Existenz
Israels anerkennt.
Mit über einer halben Milliarde Euro jährlich unterstützen die 25
Mitgliedsstaaten der Europäischen Union die palästinensischen
Gebiete. Tatsächlich ist die Garantie dieser Finanzierung, auch wenn
es sich in dieser aufgeheizten Stimmung sprachlich eigentlich
verbietet, die einzige diplomatische Waffe der EU. Nur ein Teil der
500 Millionen Euro fließt in die Administration, in die Verwaltung
der 3,7 Millionen Palästinenser. Das übrige Geld geht in humanitäre
Projekte. Zur Erinnerung: Es sind die wirtschaftlich schlechte Lage
der Palästinenser und der Protest gegen Korruption, die sich in der
Abwahl der Fatah manifestieren. Ein Einfrieren der Gelder könnte die
Atmosphäre weiter anheizen. Was wäre, wenn Iran fortan bezahlt? Somit
ist es ein schmaler Grat, auf dem sich Diplomaten bewegen.
Ob das Schwingen der Finanzkeule wirklich von allen EU-Staaten
mitgetragen wird, bleibt abzuwarten. Noch hat die Regierungsbildung
in den Palästinensergebieten nicht begonnen. Sie wird womöglich
Monate dauern. Auch mehren sich die Stimmen der Kritiker, die daran
zweifeln, dass sich die Hamas angesichts ihrer
Regierungsverantwortung dem geforderten dramatischen Politikwechsel
unterwirft, dass sie wirklich der Gewalt abschwört. Doch richtig ist:
Die EU kann in dieser Gemengelage, weit mehr als die in der
arabischen Welt diskreditierten USA, den Fortgang der
Friedensgespräche beeinflussen.
Die Europäische Union kann die treibende Kraft sein in dem
Bemühen, die Konfliktparteien zur Abkehr von der Gewalt und zum
politischen Dialog zu bewegen. Dazu aber bedarf es Einigkeit. Europas
bisherige Rolle im Nahost-Konflikt war auch durch politische
Zurückhaltung geprägt. Um es klar zu sagen: Es gibt in der Haltung
zum Nahostkonflikt nach wie vor keine wirklich einheitliche EU-
Außenpolitik.
Das politische Erdbeben, das der Wahlsieg der Hamas ausgelöst hat,
hat auch diese Frage an die Oberfläche befördert: Was kann die EU für
den Friedensprozess im Nahen Osten eigentlich tun? Europa, das ist
eine Antwort, kann seine Rolle verstärken: Vom Payer zum Player, vom
Geldgeber zum Vermittler, der Akzente setzt.

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