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WAZ: Warme Spiele mit kleiner Macke - Kommentar von Gudrun Norbisrath

Essen (ots)

Die Ruhrfestspiele werden 60 Jahre alt. Nach einem
kurzen, jäh beendeten Ausflug in die Avantgarde vor zwei Jahren sind
sie nun wieder ein äußerst gediegenes Festival. Man kann das, trotz
allem, auch ganz pragmatisch sehen: als Chance.
Von jeher hatten die Ruhrfestspiele eine besondere, warme
Ausstrahlung. Der Entstehungsmythos zumal hat den Charme einer
Geschichte, die nicht besser erfunden sein könnte: 1945 gab es im
Hamburger Schauspiel nichts zum Heizen; Bergleute aus Recklinghausen
halfen und bekamen zum Dank und im Tausch ein Gastspiel. So entstand
das Festival mit dem Slogan: Kunst für Kohle. Obwohl es ja eigentlich
umgekehrt angefangen hatte.
Es folgten gute, hochanständige Jahre voll Kultur für diejenigen,
die wenig abbekommen hatten von der Bildung. Das ist ein großes,
bleibendes Verdienst. Als Arbeiterfestival mit dem DGB als
Gesellschafter brachten die Ruhrfestspiele eine neue Qualität ins
Revier mit seinen bürgerlichen Theatern. Das war einmalig, ähnlich
wie heute die Industriedenkmäler als Spielorte der Kultur; insofern
waren die Ruhrfestspiele auch Vorreiter der Kulturhauptstadt.
Das ändert nichts daran, dass sich das Festival 2004 den
katastrophalen Missgriff leistete, Frank Castorf mit Schimpf den
Abschied zu geben. Sicher war die Auslastung jämmerlich, es darf aber
vermutet werden, dass die stockbiedere Gewerkschaft daran nicht
unbeteiligt war. Einst kommandierten Betriebsratsvorsitzende Kumpel
zu Goethe, wenn Zuschauer fehlten. Sie sollen die Pause „Halbzeit”
genannt haben. Sollte wirklich kein Funktionär vom Besuch der
lustvoll chaotischen, gänzlich klassikerfreien Castorf-Spiele
abgeraten haben? Der Beweis steht aus, die Wette gilt.
Gut, oder vielmehr: schlecht. Doch das ist Vergangenheit und muss
hoffentlich nie wieder erwähnt werden. Heute haben die Festspiele
eine Auslastung wie nie zuvor; allerdings sind sie auch wieder sehr
konservativ, mit Klassik, Zirkus und einem Szene-Theater-Programm,
das als solches bezeichnet wird und deshalb keinem wehtut. Da denkt
man sich wohl den Arbeiter-Rezipienten zurecht. Egal. Es ist Kultur.
Der neue Chef, Frank Hoffmann, wägt klug Kunst und Kommerz. So
muss es sein, die hochrangigen Gastspiele jedenfalls, die er an die
Ruhr holt, haben unbedingt ihre Berechtigung. Nicht jeder fährt für
einen Theaterabend nach Hamburg oder Berlin.
Seit es die Ruhr Triennale mit ihren furiosen Eigenkreationen
gibt, sind die Ansprüche allerdings gestiegen. Doch es sollte Platz
sein für beides in der künftigen Kulturhauptstadt, für das aufregend
Neue und das getreulich Traditionelle. Entscheidend ist die Qualität.
Solange sie stimmt, überleben beide. In diesem Sinne sind den
Ruhrfestspielen viele weitere gute und gut besuchte Jahre zu
wünschen.

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