Westdeutsche Allgemeine Zeitung
WAZ: Sparen, nicht schröpfen - Kommentar von Ulf Meinke
Essen (ots)
Den Haushaltspolitikern kommt dieser Tage eine kuriose Rolle zu. Sie diskutieren weniger über Einsparungen als über die Frage: Wohin nur mit dem Geld? Denn endlich ist in Deutschland der Aufschwung angekommen. Die heimische Wirtschaft wächst so stark wie seit fünf Jahren nicht mehr. Neue Jobs entstehen. Unerwartet sprudeln die Steuereinnahmen. Bis zu 18 Milliarden Euro könnten zusätzlich in die Staatkassen fließen.
Die überraschend positiven Konjunkturdaten treiben die Große Koalition in ein kommunikatives Dilemma: Warum mutet die Regierung ihren Bürgern massive Belastungen zu, wenn die Lage doch gar nicht mehr so ernst erscheint? Eiserne Spar-Appelle in Zeiten des Aufschwungs - wie sollen die Bürger das verstehen? Schon wachsen im Politikbetrieb die Begehrlichkeiten. Auf der Wunschliste ganz oben stehen: Konjunktur-Programme, mehr Geld für den Anti-Terror-Kampf und ein Verzicht auf die Mehrwertsteuer-Erhöhung. So mancher Bürger wird sich fragen, warum er zur Altersvorsorge auf Urlaubsreisen verzichten soll, wenn seine Politiker munter ans Geldausgeben denken.
Doch gerade jetzt muss die Politik den Haushalt in Ordnung bringen: Wann, wenn nicht in guten Zeiten, sollte ein Staat für die Zukunft vorsorgen? Allerdings muss die Regierung sehr viel besser vermitteln, warum das Land einen disziplinierten Sparkurs so dringend nötig hat, warum die lange gepflegte Schuldenpolitik auf Kosten künftiger Generationen geht. Eine Große Koalition des Geldausgebens darf es nicht geben. Es wäre schlicht verantwortungslos, angesichts schlechter Umfragewerte über klassische Verteil-Mechanismen das jeweilige Parteiprofil durch die Begünstigung der eigenen Wählerklientel zu schärfen. Kein taktisches Klein-Klein ist nun gefragt, sondern ein schlüssiges Politik-Konzept.
Das Land erlebt keinen Merkel-Aufschwung. Die Wirtschaft wächst vor allem dank gewaltiger Anstrengungen in den Unternehmen, Regierungshandeln dagegen brachte nicht den entscheidenden Konjunktur-Impuls. Doch Aufbruch-Signale sind angesichts des herannahenden Steuer-Schocks wichtiger denn je. Für einen Sparkurs haben die Bürger Verständnis, nicht aber für einen Schröpfkurs. Auch die erforderliche Konsolidierung des Haushalts sollte die Politik nicht daran hindern, zentrale politische Ziele zu verfolgen. Eines davon ist, Arbeit bezahlbarer zu machen, um so neue Jobs zu schaffen. An dieser Stelle bieten sich Kanzlerin Merkel viele Chancen, die dringend notwendige Zuversicht zu erzeugen.
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