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WAZ: Reformchaos in der Regierung: Misstrauen in die Demokratie - Kommentar von Angela Gareis

Essen (ots)

Einfach mal die Klappe halten. CDU-Generalsekretär
Ronald Pofalla wünscht sich das ebenso wie SPD-Vizekanzler Franz 
Müntefering, und beide meinen ausgesprochen und unausgesprochen den 
redseligen SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach. Aber beide meinen
noch etwas mehr. Die Große Koalition hat das neue Jahr mit dem Streit
begonnen, mit dem sie das alte Jahr zu Ende gequält hat, über 
Gesundheitsreform, Einsatz der Bundeswehr im Innern oder 
Kündigungsschutz. Sie hat überdies den Eindruck eines grundsätzlichen
Konflikts erweckt, indem Kanzlerin Angela Merkel weitere Reformen 
angekündigt hat, SPD-Chef Kurt Beck dagegen "immer mal langsam mit de
Leut" umgehen will.
Dieses Durcheinander in der öffentlichen Darbietung meinen 
Pofalla und Müntefering, aber das lässt sich nicht abstellen, indem 
ein paar Leute mal die Klappe halten, denn das Durcheinander spiegelt
bloß, dass es der Koalition nicht gelungen ist, gemeinsame Ziele zu 
bestimmen. Reformen müssen zu Zielen führen, sie sind nicht das Ziel 
an sich. Menschen wollen nicht in der ewigen Reform um der Reform 
willen leben. Doch diese Wahrnehmung erzeugt die Regierung bei der 
Gesundheitsreform, wie zuvor schon bei der Föderalismusreform. Auch 
die musste irgendwie zu Stande kommen, damit die Koalition einen 
vermeintlichen Erfolg vorweisen konnte. Deshalb überließ sie die 
Zuständigkeit für die Bildung den Ministerpräsidenten. Bildung und 
bildende Betreuung von Kindern aber sind ein großer Teil der Antwort 
auf die Frage, wie in Deutschland lebenswerte Verhältnisse zu 
bewahren oder herzustellen sind.
Mit der restlosen Aufgabe der Bildung hat die Regierung den Staat
für vermutlich lange Zeit einer zentralen Gestaltungsmöglichkeit 
beraubt. Ein Staat aber, der wenig gestalten kann, macht Menschen 
Angst vor der Globalisierung. Und wenn Müntefering verspricht, 
während der EU-Ratspräsidentschaft das "Sozialmodell Europa" 
weiterzuentwickeln, dann fragt man sich, ob das leichter wäre, als 
das "Sozialmodell Deutschland" weiterzuentwickeln. Oder ist das schon
weiterentwickelt, und es sagt einem nur keiner?
Einfach mal die Klappe halten, das verrät den ewigen Blick auf 
die schlechten Umfragewerte für die Volksparteien. Doch Politiker 
sollten ihr Augenmerk mehr auf Umfragen lenken, die Existenzängste 
vieler Menschen zum Ausdruck bringen und ein in der Geschichte der 
Republik beispielloses Misstrauen in die Demokratie. Dann ergibt 
sich: Klappe halten, analysieren, Ziele formulieren und erklären.

Pressekontakt:

Rückfragen bitte an:
Westdeutsche Allgemeine Zeitung
Thomas Kloß
Telefon: (0201) 804-8975
zentralredaktion@waz.de

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