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WAZ: Staat nimmt Milliarden mehr ein: Das Steuerrad richtig drehen - Leitartikel von Christopher Shepherd
Essen (ots)
Wenn es nun heißt, dass der Fiskus in diesem Jahr geschätzte sieben bis acht Milliarden Euro mehr als geplant einnehmen wird, dann möchte man meinen: Jetzt ist doch wieder Geld in der Kasse, jetzt können endlich Steuern und Abgaben gesenkt werden, jetzt muss der Staat das Geld in die Hand nehmen und verstärkt in Bildung und Forschung investieren. Sicher: Verständlich sind solche Begehrlichkeiten allemal. Leider sind sie aber falsch.
Zunächst einmal muss man sich vor Augen halten, was sieben bis acht Milliarden Euro tatsächlich für eine Größenordnung sind. Denn: Der deutsche Staat ist mit sagenhaften 1,6 Billionen Euro - also 1600 Milliarden Euro - verschuldet. Allein für die Schuldzinsen gehen jährlich rund 65 Milliarden Euro drauf - das sind gut zwölf Prozent des gesamten Steueraufkommens. Und: Die geschätzten Mehreinnahmen sind ja kein Überschuss. Tatsächlich wird das Haushaltsdefizit in diesem Jahr 24 Milliarden Euro betragen. Nettokreditaufnahme nennt man das. Und das relativiert die paar Milliarden, die mehr als geplant auf die Habenseite fließen, doch gewaltig.
Dazu muss man beachten, dass die günstige Entwicklung bei den Steuern zunächst auf die aktuell gute Konjunkturlage zurückzuführen ist. Die Arbeitslosenzahlen sinken, die Binnennachfrage zieht an, die Bundesregierung und die Wirtschaftsforschungsinstitute erhöhen ihre Wachstumsprognosen. Das alles ist erfreulich, bedeutet aber noch keinen wirklich dauerhaften Aufschwung. Deswegen muss sich der Staat jetzt davor hüten, das Geld mit vollen Händen auszugeben.
Stattdessen sollten die Zusatz-Milliarden für die Haushaltskonsolidierung verwendet werden. Sprich: Zur Senkung der immensen Schulden. Wenn dann die Konjunktur langfristig gut bleibt und in den kommenden Jahren sogar ein Haushalts-Überschuss erzielt wird, kann der Staat immer noch wieder mehr Geld ausgeben. Doch bis dahin lauern ohnehin noch einige Gefahren: Wer kann schon vorhersagen, ob die Gesundheitsreform nicht ein paar Milliarden Euro mehr als geplant kostet. Und was ist, wenn die Weltwirtschaft sich drastisch abkühlt oder die Ölpreise explodieren? Dann könnte es - bei allem zurzeit berechtigten Optimismus - hier zu Lande wirtschaftlich schnell wieder den Bach heruntergehen.
Insofern gilt bei aller Freude über die zusätzlichen Steuer-Milliarden: Oberstes Ziel bleibt der Schuldenabbau. Denn was der Staat in guten Jahren einspart, kommt ihm in schlechten Jahren wieder zugute.
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